Bäri, der Berner Sennenhund

Vor vielen Jahren lebte in dem kleinen Weiler Neudorf im Kanton Luzern der Unternehmer Alfred Palmer, welcher eine Käserei betrieb. Er kaufte die Milch der Bauern auf und stellte daraus Emmentaler, Butter, Sahne und Joghurt her. Seine Frau Marie hatte neben dem Wohnhaus einen Lebensmittelladen für die wichtigsten Bedürfnisse der Einwohner des Ortes.

Zu den Bauern, die ihre Milch lieferten, gehörte auch Kaspar Erni. Sein Vater Melchior war ein Freund des Züchters Franz Schertenleib gewesen. Der hatte am Ende des 19. Jahrhunderts als Begleithund der Kuhhirten den Berner Sennenhund gezüchtet. So kam es, dass auch Kaspar einen jungen Hund dieser Art namens Bäri besaß. Er war massig bei einer Widerristhöhe von fast 80 Zentimetern, hatte ein langes, weiches Fellkleid von braun-schwarzer Farbe und von der Nase zur Stirn lief ein weißer Streif, die Blesse. Braun-rote Flecken über den Augen machten ihn zum „Vieräugler“. Das war ein typisches Zeichen der Sennenhunde, die in der Schweiz wegen ihrer Kraft, Ausdauer und Gutmütigkeit auch als Rettungshunde und Fährtensuchhunde ausgebildet wurden. Kaspar nahm seinen Hund vier Jahre lang als Begleiter mit, wenn er die Milch über den Hasenlehnweg, einen unbefestigten Feldweg, zur Käserei brachte. Als er bemerkte, dass Bäri den Weg von einem Kilometer vom Bauernhof zur Käserei und zurück mit großer Gelassenheit allein gehen konnte, beschloss er aus Gründen der Zeitersparnis und Arbeitsteilung, ein Experiment zu wagen: Er baute eine kleine Holzkarre mit zwei Rädern, befestigte daran eine Deichsel und ließ für den Hund vom Sattler ein passendes Ledergeschirr anfertigen. Das glich dem eines Pferdes, wenn auch en miniature. Weil die Bauern morgens zwischen 6 und 8 Uhr die Milch zur Käserei brachten, abends zwischen 17 und 19 Uhr, war es für sie eine Überraschung, als sie nicht - wie sonst üblich – den Kaspar Erni bei dem Palmer vorfahren sahen, sondern seinen „Zughund“ Bäri mit zwei Milchkannen auf seiner Karre. Bäri war genauso sorgfältig wie sein Herr und kam nie zu spät. Auf dem Rückweg brachte er die Molke für die Schweine zum Hof und wurde für Kaspar zum wichtigen Mitarbeiter.

Auf halbem Weg zwischen dem Anwesen des Bauern und der Käserei wohnte die ehemalige Hebamme Lydia Binggeli. Sie war wegen eines Unfalls gehbehindert. Deshalb fragte sie den Bauern, ob der Hund ihr nicht Waren aus dem Laden der Marie Palmer mitbringen könne, wenn er morgens von seiner Tour zurückkomme. Auf diese Weise kam es, dass Bäri auf dem Hinweg zusätzlich zu den Milchkannen eine Tasche mit einer Bestellliste transportierte, auf dem Rückweg bei der Binggeli anhielt und ihr die gewünschten Lebensmittel brachte. Er erhielt dafür eine kleine Wegzehrung als Belohnung. Acht Jahre lang machte das treue Tier seine tägliche Arbeit und war in Neudorf eine berühmte Persönlichkeit geworden, weil die „Luzerner Nachrichten“ wiederholt von ihm berichtet und auch seine Tätigkeit in verschiedenen Fotos festgehalten hatten. Als die Zeit des Zughundes Bäri abgelaufen war, brach er eines Tages wenige Meter vor der Käserei tot zusammen. Bis zuletzt hatte er seine Arbeit getan. Aus Dankbarkeit veröffentlichten Kaspar Erni und Alfred Palmer eine Todesnachricht in den „Luzerner Nachrichten“ und beerdigten den Hund unter Anteilnahme der Dorfbewohner auf dem Vorplatz der Käserei. Auch ließen sie einen Gedenkstein errichten, auf dem stand: „Hier ruht Bäri, der Zughund des Erni.“

Wolfgang Viehweger

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