Cléopâtre

Manche Tiere machen Geschichte, wie es auch bedeutende Menschen tun, und werden dadurch unsterblich. Zu ihnen gehört eine grauweiße Katze, die im 15. Jahrhundert im Dienst der Isabella von Lothringen in der Stadt Metz stand. Herzog Karl II. hatte seine Tochter schon als Kind mit René von Anjou verlobt, der in Angers lebte und bei dem ersten Zusammentreffen mit seiner zukünftigen Frau nicht gerade in Entzücken geriet.
Isabella war nämlich eine große, fröhliche und tierliebe Person, aber keine Schönheit. In dieser Situation trat die Katze Cléopâtre als Heiratsvermittlerin in Aktion:
Als René im Jahr 1418 mit Gefolge nach Metz kam, um Isabella zu besuchen, hatte der Küchenchef als Festessen einen Hirschbraten vorbereitet, aromatisiert mit einer Sauce aus Johannisbeeren und Himbeeren, ein wenig gesäuert mit Essig. Zufällig stand bei der Vorbereitung neben der Sauce eine geöffnete Flasche Rotwein. Cléopâtre, die weniger an dem Wein als an dem Bratenfleisch interessiert war, stieß unabsichtlich mit der Pfote an die Flasche, deren Inhalt sich zur Hälfte in die heiße Sauce ergoß.
Als der Küchenchef, der sich einen Augenblick entfernt hatte, zurückkam, erfüllte ein wunderbarer Geruch die Küche. Der Zorn des Kochs über die ungeschickte Katze wich der Begeisterung, nachdem er von der „Sauce à la Cléopâtre“ gekostet hatte. So eine Sauce hatte er noch nie geschmeckt. Nach dem Festmahl wandelte sich die Skepsis von René von Anjou gegenüber dem Haus Lothringen und seiner Verlobten in Bewunderung und Liebe, weil er meinte, dass Isabella das Mahl und die herrliche Sauce für ihn vorbereitet habe. So heiratete er Isabella im Jahr 1420 nach dem Grundsatz, dass Liebe durch den Magen geht. Cléopâtre, die für den Ehekontrakt verantwortlich war, zog für 11 Jahre mit ihrer Herrin nach Angers, kehrte aber im Jahr 1431 nach Metz zurück, da seit dem Tode von Karl II. das Herzogtum Lothringen im Mannesstamm ausgestorben war. Nachfolger wurde der Schwiegersohn René, der Anjou mit Lothringen vereinigte. Cléopâtre starb im Jahr 1435 im Bewusstsein, für die feine Küche (la haute cuisine) in Frankreich eine Rotweinsauce erfunden und auch für die Geschichte der Herzogtümer Anjou und Lothringen Entscheidendes getan zu haben.


Wolfgang Viehweger

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