Der rote Löwe

Als ich vor einiger Zeit mit dem ICE von Bochum über Köln nach München fuhr, um meine Tochter in Starnberg-Söcking am Wochenende zu besuchen, stieg in Bonn ein älterer Herr ein, der sich zu mir setzte, weil ein Platz frei war.
Er stellte sich als Willy Waldmüller aus Rapperswil vor und fügte hinzu, er habe bis 1983 als Generalvertreter bei der „Züricher Löwenbräu“ gearbeitet, deren Markenzeichen ein roter Löwe gewesen sei. Als ich entgegnete, daß mir als Historiker nur der rote Löwe von Flandern bekannt sei, nickte mein Gesprächspartner und erzählte folgende Geschichte:
Der Gründer der Löwenbrauerei sei ein unruhiger Mensch und Haudegen namens Peter Kläui gewesen, den es im kriegerischen 17. Jahrhundert nicht in der geruhsamen Schweiz gehalten habe. Deshalb sei er rheinabwärts gezogen und habe sich in der Stadt Namur einem Regiment angeschlossen, das ordentlich geführt wurde und regelmäßigen Sold bekam. Der Glücksbringer der Landsknechte sei ein fahlroter junger Löwe gewesen, welcher bei feindlichen Angriffen oder eigenen Ausfällen nichts anderes zu tun brauchte, als laut und vernehmlich zu brüllen. Dadurch seien die feindlichen Streifscharen so eingeschüchtert worden, dass sie oft die Flucht ergriffen, bevor noch ein einziger Schuß gefallen war. Wie das Tier, das im Troß mitgeführt wurde, zu dem Regiment gekommen war, konnte keiner genau sagen. Wahrscheinlich war es die Kriegsbeute eines Soldaten, der an der Plünderung eines Adelssitzes teilgenommen und das Löwenkind aus der Menagerie mitgenommen hatte.
Als im Jahr 1648 die Schlachten des 30-jährigen Krieges beendet und Kriegslisten nicht mehr nötig waren, habe der kommandierende Oberst angeordnet, den Löwen als nun nicht mehr verwendbar zu töten. Der Tierfreund Peter Kläui, der den Löwen als guten Kameraden schätzte, bat aber darum, ihn in die Schweiz mitnehmen zu dürfen, weil er mit dem gesparten Sold und der Ablösung (Abfindung) in Zürich eine Brauerei gründen wolle.
Der Löwe, welcher ihm im Krieg das Leben gerettet habe, solle ihm im Frieden Glück bringen. So kam es, dass der ehemalige Landsknecht im Jahr 1650 das Unternehmen „Züricher Löwenbräu“ gründete, das über 300 Jahre bestand. Der rote Löwe, der in Zürich nicht mehr brüllen, sondern nur noch mit Rücksicht auf empfindsame Nachbarn fauchen durfte, hatte dem Unternehmen des Peter Kläui tatsächlich Glück und Reichtum gebracht. Als wir uns in München verabschiedet hatten und ich in der S–Bahn nach Starnberg saß, überlegte ich, ob mir Herr Waldmüller mit seiner Geschichte vom Löwen „einen Bären aufgebunden“ haben könnte. Deshalb nahm ich mir vor, in nächster Zeit nach Zürich zu fahren und im Stadtarchiv in den Quellen zur Zunft – und Wirtschaftsgeschichte nachzuforschen, ob es jemals das Unternehmen „Züricher Löwenbräu“ mit dem roten Löwen von Flandern als Markenzeichen gegeben hat.


Wolfgang Viehweger

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