Der Emscherbrücher Dickkopp

Die Römer machten ihre Vorstöße vom Rhein zur Weser unter ihrem Feldherrn Germanicus meist entlang von Flüssen, zum Beispiel der Ruhr, der Emscher und der Lippe. Kaiser Tiberius hatte seinen Neffen adoptiert und ihm im Jahr 13 n. Chr. die Verwaltung Galliens und das Kommando über die acht Rheinlegionen übertragen. Zwischen 14 und 16 n. Chr. marschierte der junge Feldherr mit seinen Truppen zur Ems und drang bis zur Weser vor.
Aus dieser Zeit stammen die Berichte von den Wildpferden. Ihre Weidegründe lagen im Flussgebiet der Emscher. Sie erstreckten sich südlich vom Vest Recklinghausen bis weit in das ehemalige Stift Essen. Es ist das Gebiet von Crange, Buer, Gelsenkirchen und Bottrop. Die Bruchzone der Emscher umfasste in ihrer größten Ausdehnung nach Westen den Hamborner Bruch und nach Osten das Schlangenriedt bei Henrichenburg, in der Frühzeit auch noch den Dorstfelder Bruch. Benachbarte Wildbahnen waren im Nordosten der Merfelder Bruch und im Südwesten der Duisburger Wald mit den Ruhr-Auen. Die Wildpferde lebten in der Art des Rotwilds: Sie rudelten sich so zusammen, dass oft zwanzig Stuten bei einem Hengst standen. Zur Brunstzeit wurden harte Kämpfe zwischen den rivalisierenden Hengsten ausgefochten, wobei das Recht des Stärkeren galt. Schon in Urzeiten war das Gebiet des Emscherbruchs die Heimat für Wildpferde jeglicher Art, wie aus der Vielzahl vorgeschichtlicher Funde hervorgeht. Das im Jahr 1930 in Wanne – Eickel entdeckte Skelett eines Emscherbrüchers befindet sich im Depot des Bergbaumuseums in Bochum. Die „Emscherbrücher Dickköppe“, wie sie im Mittelalter genannt wurden, hatten folgende Merkmale: Schulterhöhe bis 135 cm, Körpergewicht bis 300 kg, kurze Ohren, Hornwarzen an allen vier Beinen und einen von der Rückenwurzel herabhängenden behaarten Schweif.
Historisch kann man nicht mehr genau feststellen, wann zu den Wildpferden Kavalleriepferde gekommen sind. Es ist wahrscheinlich, dass die herrenlosen Tiere getöteter Reiter in den vielen Fehden des Mittelalters und den Wirren des 30jährigen Krieges oft ihr Schicksal in eigene Verantwortung nahmen, indem sie sich den Rudeln der freilaufenden Pferde im Emscherbruch anschlossen. Aus der Kreuzung entwickelten sich veredelte Wildpferde, meist dunkelbraun oder schwarz, größer als die Wildpferde, mit kräftigen Beinen und einer breiten Brust, aber einem recht schmalen Hals und einem zierlichen Kopf. Die Pferde waren nicht „vogelfrei“, so dass sie jeder fangen und verkaufen konnte, sondern sie gehörten zu den Forst – und Weiderechten der Rittergüter. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nach der „Bauernbefreiung“, konnten auch Bauern und Kötter diese Rechte im Emscherbruch wahrnehmen.

Nach der Teilung der Cranger Mark in den Jahren 1771 bis 1841 gab es 100 berechtigte Höfe und 6 adelige Güter (Dorneburg, Gosewinkel, Horst, Nosthausen, Dahlhausen und Bönninghausen ), welche im Emscherbruch ihre verbrieften Rechte hatten. Diese bezogen sich auf die Jagd, den Pferdefang, den Fischfang, das Holzschlagen und den Viehauftrieb. Bis zum Jahr 1841 kooperierten die jeweiligen Besitzer von Schloss Crange, die Freiherren von Rump und die Grafen von Landsberg-Velen, mit dem benachbarten Adel in der Pferdezucht. Die letzten 200 Wildpferde wurden nach 1841 in den Merfelder Bruch gebracht, wo sie der Herzog von Croy vor dem Aussterben bewahrte und weiter züchtete.

Wolfgang Viehweger

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