Achilles war nicht dabei


Die Kumpel (Kohlezeichnung von Hermann Peters)

Der alte Fahrsteiger Harald Konter hatte auf der Zeche Barillon in Baukau seine Pflicht getan. Über 40 Jahre war er eingefahren, erst als Schlepper, dann als Hauer und Steiger und schließlich als Fahrsteiger. Peter Lorenz, gerade 16 Jahre alt, war seit zwei Jahren Lehrling über Tage, nun wurde er eingeweiht in die Geheimnisse der Grube.
Gewissenhaft fuhr Fahrsteiger Konter mit ihm seine letzte Schicht, wies ihn ein und kletterte dann von Stempel zu Stempel, um mit den Leuten zu sprechen.
Als er den 120 m langen Streb hinter sich hatte, rann ihm der Schweiß vom Körper. Noch viel mehr machte ihm ein Hautleiden zu schaffen. Wenn er schwitzte, fing das Hautjucken an und machte ihm jede Bewegung zur Qual. Hastigen Schritts eilte der alte Mann bis zur Kurve, wo eine große Kiste stand, die mit Gesteinsstaub angefüllt war. Die Kur, die jetzt folgte, hatte er selbst erfunden und sie hatte ihm immer geholfen. Er legte also Wetterlampe, den sogenannten Blitzer, Meterlatte und Helm beiseite, zog seine Sachen aus und wälzte sich minutenlang in dem kühlen Staub, bis das Jucken aufhörte. Danach entstieg er der Kiste, lang und dünn, weiß wie Schnee, die schlohweißen Haare hoch aufgetürmt. Sein Blitzer, den er nicht ausgestellt hatte, beleuchtete die geisterhafte Szene wie ein Bühnenscheinwerfer.
Gerade in diesem Augenblick kam Peter Lorenz vom Querschlag um die Kurve. Er sollte nachsehen, warum der Kohlenzug nicht kam. Als er die fürchterliche Gestalt erblickte, blieb er wie versteinert stehen und fiel dann in Ohnmacht. Als er aufwachte, sah er in das runzlige Gesicht des alten Fahrsteigers, dessen gütige Augen ihn verständnisvoll anschauten. „Ich habe den Berggeist gesehen“, flüsterte der junge Mann. „Das glaube ich Dir“, murmelte der Alte, „aber Du brauchst vor ihm keine Angst zu haben.“

Wolfgang Viehweger


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