Gerhard Tersteegen - Gehe auf das Gebirge (5. Mos. 32, 49)

Die Synagogengemeinde Wanne-Eickel

Im Herbst 1897 bildet sich in Wanne ein „Provisorischer Ausschuss“, der die Lösung von der Bochumer Synagogengemeinde zum Ziel hat.
Begonnen wird mit der Gründung einer „Beerdigungsbruderschaft“, obwohl schon 40 Jahre vorher ein eigener Friedhof im Dreieck Eickeler Bruch / Kurhausstraße errichtet worden ist. Treibende Kraft ist der Versicherungskaufmann Joseph Hirsch. Im Jahr 1898 stellen die Wanner Juden beim Regierungspräsidenten in Arnsberg den Antrag auf die Gründung einer Synagogengemeinde, der aber abgelehnt wird, da die Leistungsfähigkeit (Finanzkraft) der Juden auch dann nicht ausreiche, wenn sich die Juden in Eickel der Gründung anschlössen. So bleibt es bei einem Betsaal im Haus Bahnhofstraße 5, in der Folgezeit Gelsenkirchener Straße 6.
Trotz der Widrigkeiten – auch die zuständige Synagogengemeinde Bochum zeigt kein Interesse an der Neugründung in Wanne – lässt Joseph Hirsch in seinem Bemühen nicht nach, die mehr als 100 Juden in Wanne-Eickel in die Selbstständigkeit zu führen. Unterstützung findet er bei dem Wanner Amtmann Friedrich Winter und dem Eickeler Amtmann Karl Berkermann. Die Verhandlungen zwischen dem Landrat, den beiden Amtmännern und den hiesigen Juden erfahren eine zusätzliche Belastung: Da 1896 eine Straßenbahnlinie zwischen Bochum, Eickel und Wanne errichtet worden ist, argumentieren die Eickeler Juden, dass sie nun bequem die Bochumer Synagoge erreichen könnten. Sie würden dem Bau einer Synagoge in Wanne nur zustimmen, wenn er nahe an der neuen Straßenbahnlinie liege.
Auf diese Weise dauern die Verhandlungen und Querelen bis zum 1. Oktober 1907. An diesem Tag wird die Synagogengemeinde Wanne-Eickel rechtlich selbstständig, nachdem ein geeignetes Grundstück von Robert Franke, südlich der Bahn, an der Langekampstraße angekauft worden ist. Die kommunalen Spitzen in Wanne und Eickel werten das Ereignis als Erfolg gemeinsamer Zusammenarbeit. Es dauert noch 3 Jahre, bis das Gebäude an der Langekampstraße 48 am 19. Juni 1910 eingeweiht werden kann. Gebaut hat es August Franke, der Bruder des Robert Franke. Architekt ist Georg Gobrecht aus Gelsenkirchen. Das gemeinsame Baugeschäft der Gebrüder Franke liegt der Synagoge gegenüber (Langekampstraße 43).
Die Synagoge in kompakter Ziegelbauweise im niederländisch-flämischen Stil enthält außer den Sakralräumen im Obergeschoss eine jüdische Volksschule und eine Lehrerwohnung im Erdgeschoss. Die Ausstattung ist durch schlichte Funktionalität gekennzeichnet, ganz im Gegensatz zur im Jahr 1911 gebauten Herner Synagoge an der Ecke Schäferstraße / Hermann-Löns-Straße, die einen repräsentativen Sakralbau darstellt, der mit Münster und Detmold um den Titel „Schönste Synagoge in Westfalen“ wetteifert.
Zu den Einweihungsfeierlichkeiten der Synagoge in Wanne kommen Friedrich Winter, Karl Berkermann und der Polizeipräsident. Festredner ist der Synagogenvorsteher Bernhard Rose. Schon zwei Monate vorher, am 1. April 1910, ist unter Leitung des Lehrers Josef Rosenbaum die jüdische Volksschule mit 8 Klassen eröffnet worden. Rosenbaum ist auch Vorbeter in der Synagoge und schreibt die Gemeindeprotokolle. Die zweite Lehrerin an der Schule wird Frau Goldbach.
Die Wanne-Eickeler Juden sehen sich als Deutsche jüdischen Glaubens und als Vertreter eines liberalen Judentums, das sich nun in Wanne-Eickel etabliert hat. Das beweist auch das Programm der Einweihungsfeier, das nur eine Aufführung jüdischen Ursprungs enthält, während die anderen Teile rein weltlich sind. Als besonderer Höhepunkt dieses Tages wird der Auftritt des Musikkorps des Infanterieregiments 56 aus Wesel von den Besuchern angesehen. Die Musiker unterhalten die Gäste mit Marschmusik und flotten Wiener Walzern.

Das Ende der Wanne-Eickeler Synagogengemeinde ist parallel zu den Einschränkungen der Juden nach der Machtergreifung Hitlers vom 30. Januar 1933 zu sehen:

  • Anfang Juni 1933: Vertreibung des OB Wilhelm Kiwit durch die NSDAP
  • Einsetzung des Rechtsanwalts und Notars Heinrich Günneweg als Staatskommissar in Wanne-Eickel. Ein Jahr später wird er OB und bleibt es bis 1945. Günneweg ist Rechtsreferent beim Stab des SS-Abschnitts 25.
  • 22. Juni 1933: Erklärung zum Boykott jeglicher Geschäftsanzeigen von jüdischen Unternehmern
  • 29. Mai 1934: Rundverfügung des OB zum „Nachweis der arischen Abstammung“ bei städtischen Beamten
  • Mai 1934: Mitteilung der Stadtverwaltung zu „Mischehen“
  • Herbst 1934: Brand der Synagoge an der Langekampstraße. Er soll auf Weisung des OB Heinrich Günneweg erfolgt sein. Das kann ihm nach 1945 nicht nachgewiesen werden. Er wird lediglich wegen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Vereinigung zu 5 Monaten Haft verurteilt.
  • 7. August 1935: Maßnahmen der Stadtverwaltung in Übereinstimmung mit den Reichsgesetzen: Verbot öffentlicher Badeanstalten für Juden; Verbot des Erwerbs von Grundstücken für Juden; Verbot der Gründung von Gewerben für Juden; Schulverbot für jüdische Kinder an staatlichen Schulen; Verbot für jüdische Händler zur Teilnahme an Wochenmärkten; Einkaufsverbot für städtische Beamte in jüdischen Geschäften, Verbot der Archivbenutzung für Juden; Registrierung aller Angestellten in jüdischen Haushalten.

Das Ende der jüdischen Synagogengemeinde ist am 9./10. November 1938 („Reichskristallnacht“) gekommen, als überall in Wanne-Eickel in jüdischen Geschäften und in der renovierten Synagoge Brände gelegt werden. Berichte des Lehrers Max Fritzler, der von 1929 bis 1938 Leiter der jüdischen Schule gewesen ist, weisen detailliert auf den Untergang jüdischen Lebens in Wanne-Eickel hin (Literatur: „Die Synagoge von Wanne-Eickel“, hrg. von der Gesamtschule Wanne-Eickel in Kooperation mit der Stadt Herne, Herne 2006).

Wolfgang Viehweger

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