Die Zuschüttung


Sinnender Bergmann (Holzschnitt von Hans Kralik)

Viele Wochen schleppten schwere Lastwagen von einem Steinbrecher zerkleinertes Grubengestein von Recklinghausen/Hochlarmark heran und kippten es in einen quadratischen Blechtrichter der Zeche Von der Heydt im Ortsteil Baukau. Den Trichter hatte man zu diesem Zweck über dem Schachtmund am Harpener Weg montiert. Der alte Grubenschlosser Heinz Lenormand, der über 30 Jahre unter Tage gearbeitet hatte, verbrachte hier als Schrottbrenner seine letzten Monate vor der Rente. Er hatte den Auftrag, die lange Pumpleitung auf der Rasenhängebank zu zerlegen. So richtete er immer wieder den Strahl des Schweißgerätes gegen die Rohrwandung, um eine Öffnung zu schaffen. Allerdings wusste der erfahrene Mann, dass sich in dem Rohr gefährliche Erdgase befinden konnten, die beim Kontakt mit dem Schweißstrahl explodieren würden.
Die Öffnung gelang jedoch ohne Störungen. Lenormand blickte neugierig in die Tiefe des Rohres. Es roch nach Grubenwasser, Gestein und Kohle, jedoch nicht nach Gas. Um Verlauf und Tiefe des Rohres zu prüfen, warf er einen Stein hinein, vernahm jedoch kein Echo. Sein Nachdenken ergab, dass das Rohr sehr lang war, weil es keinen Widerhall erlaubte. Sein Herz wurde unruhig. Er erinnerte sich, dass vor einigen Jahren eine Dampfwalze durch einen Tagesbruch an der Bismarckstraße in einem Erdloch verschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen. Dagegen war ein kleiner Junge, der zur Zeit des Unglücks auf der Walze spielte, wie durch ein Wunder unversehrt aus dem Loch gerettet worden.
Lenormand hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden, sah aber keinen Menschen an der Arbeitsstelle. Als er jedoch an die Öffnung des Rohres trat, schaute er in die zeitlosen Augen des Berggeistes Achilles, den er aus vielen Erzählungen kannte. Ohne Furcht blickte er in die grünen Augen des Gegenübers, der ihm ohne Worte eine Botschaft übermittelte. Am nächsten Tag versenkte der Bergmann in der Öffnung der Pumpleitung eine Kapsel mit einem Zettel, auf welchem stand: „Zuschüttung der Zeche Von der Heydt im Jahr 1965.“ Darunter hatte er seinen Namen gesetzt.

Achilles, der die Kapsel barg, freute sich darüber, dass ihn der Bergmann verstanden hatte. Er erinnerte sich daran, wie vor Millionen Jahren tropische Bäume in den Sumpf des Emscherbruchs gefallen waren, wie sie versteinerten und schließlich das Kohlengebirge bildeten. Er dachte auch daran, wie in der Industriezeit die Menschen das Gebirge abgetragen hatten und wie sie jetzt versuchten, die Hohlräume zuzuschütten, um Einbrüche zu vermeiden. Bald würde eine Zeit kommen, wo nur noch begrünte Halden an den Bergbau erinnern würden, vielleicht der eine oder andere Tagesbruch, wo man die Verfüllung vergessen hatte.

Wolfgang Viehweger

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