Der Zimmerverschönerer

Ihr Sohn ist 16 Jahre alt und besucht das Gymnasium. Der Klassenlehrer hat Ihnen beim Elternsprechtag geraten, den Sohn nicht mehr im elterlichen Schlafzimmer nächtigen zu lassen. Sie richten ihm ein eigenes Zimmer ein.
An der Art der Veränderungen im Zimmer werden Sie bald die Stufen seiner Emanzipation beobachten können. Ein bekannter Psychiater bemerkte zum Beispiel, dass sein Sohn plötzlich leidenschaftlich Streichholzschachteln sammelte und damit alle vier Wände seines Zimmers beklebte. Der Vater war tief verärgert und stellte den Sohn zur Rede. Da sich aber die Mutter auf die Seite des Sohnes schlug, geschah zunächst nichts. Doch der Psychiater blieb unzufrieden und dachte nach.
Eines Tages nahm er den Zimmerschmuck des Sohnes ab, strich eigenhändig die Wände und hängte ein Bildnis von Mahatma Gandhi auf. Er wies den überraschten Sohn darauf hin, dass Gandhi sich durch Mühe, Arbeit und Meditation zu den höchsten Staatsämtern emporgearbeitet habe. Das Beispiel solle ihm eine Lehre sein, nicht die lächerliche Streichholzschachtel-Sammlung.
Der Sohn akzeptierte die Entscheidung des Vaters, studierte Politik, wurde ein großer Staatsmann und hatte bald eine in der ganzen Welt bekannte Sammlung von Gandhi-Bildnissen in seiner Villa. Versuchen Sie also, natürlich nach reiflicher Überlegung, Ihren Sohn durch den geeigneten Zimmerschmuck auf einen Lebensweg zu bringen, der Ihrer Vorstellung entspricht.

(„Es sind heute drei Kategorien von Erziehung zu unterscheiden:
1. Die Eltern lassen sich von ihren Kindern erziehen und begehen schließlich Selbstmord.
2. Die Eltern sind permissiv, verlieren die Orientierung und fliehen aus dem Haus, ohne jemals wiederzukommen.
3. Die Eltern sind von Anfang an streng, regeln den Alltag der Kinder, mischen sich ein, bestimmen die Berufsziele, auch die Orte, wo die Kinder studieren sollen, und freuen sich über das Ergebnis. Sie wissen nämlich, dass sich das Genie der Eltern in den Kindern zeigen wird.“ Heinrich Pestalozzi)

Wolfgang Viehweger

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