Der Emscherbruch
Vom Naturwald zum Industriewald



Seit dem 9. Jahrhundert gab es regelmäßige Steuern für den Adel und die Städte im Bereich der Emscher, wo die Grafschaft Mark, das Vest Recklinghausen und das kurfürstliche Essen ihre Grundrechte hatten. Zu den Sonderrechten oder Privilegien des Adels gehörten Einnahmen aus dem Fischfang in der Emscher und den Nebenflüssen, aus dem Holzschlagen, dem Viehauftrieb, der Jagd und dem Pferdefang. Dazu kamen auch die Abgaben für Wiesen und Ackerland der Bauern sowie das Wegegeld von Wagen und Karren der Händler auf der alten Reichsstraße von Deventer nach Dortmund (Vestischer Ost-West-Hellweg).

Seit dem Beginn der Industrialisierung im Jahr 1767 hieß die Reichsstraße „Gahlener Kohlenweg“, weil die Kohlentreiber nun von Bochum ihre Karren über das Vest Recklinghausen nach Gahlen führten. Vom Hafen Dorsten wurde die Kohle über Wesel nach Holland verschifft. Zu den städtischen Einnahmen gehörte nun ebenfalls das Wegegeld, in der Freiheit Buer waren das 1805 jährlich 30 Taler für ca. 350 Fuhrwerke zur Kohlenniederlage in Gahlen. Weitere Einnahmen waren das Marktstandsgeld (in Buer gab es 4 Märkte), das Geld aus der Verpachtung von Wiesen und Ackerland und auch aus der Verpachtung von Wald, Mühlenteichen und Fischteichen. Schließlich kamen noch „Schatzungsbeiträge“ hinzu. Das waren Steuern nach der Schätzung der Größe des Grundbesitzes der Bürger (eine Maßnahme vor der Einführung des preußischen Katasters 1815-1830). Im 13. Jahrhundert kamen die Zünfte im Emscherraum auf. Sie waren gewerbliche Organisationen wie die heutigen Gewerkschaften. Durch ihr Streben nach Macht und Wohlstand für ihre Mitglieder erreichten sie bald politische Bedeutung in den Bürgerschaften. Sie erkämpften sich Ratsstellen auf Kosten des Stadtadels (der Patrizier) und bildeten nach und nach den „Großen Rat“ (die Stadtverordnetenversammlung), während die Patrizier fortan den „Kleinen Rat“ (den Magistrat) besetzten. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bestimmten sie die Geschicke der Städte. Zu den Lebensgrundlagen gehörten neben den schon erwähnten Einnahmen aus Steuern die eigene Milch- und Fleischversorgung von Tieren auf den Gemeindewiesen mit zusätzlichen Weidemöglichkeiten in den angrenzenden Wäldern, die eigene Versorgung mit Getreide, der Fischfang, die Versorgung mit Brenn- und Bauholz und die häufige Jagd auf Wildschweine, Rehe und Hasen im Emscherbruch. Bis 1803 war der Pferdefang ein Privileg des Adels an der Emscher. Auf den Märkten wurden die Produkte des Umlands angeboten, so dass die Versorgung der Städte gesichert war.

Diese Wirtschaftsordnung geriet ins Wanken, als um 1850 die ersten Bohrgesellschaften auftauchten und ihre Schürfrechte bekamen. Natürlich konnten die Städte sie für Schäden an Wald, Flüssen, Äckern und Weiden haftbar machen, aber mit dem Bau der Köln-Mindener-Eisenbahn im Jahr 1856 und des Rhein-Herne-Kanals (1906 –1914) gehörten die Händler und Kohlentreiber und damit die Wegzölle der Vergangenheit an. Der ursprüngliche Emscherwald, der sich von Dortmund bis nach Duisburg erstreckte, wich kilometerlangen Kohle-, Koks- und Schlackenhalden, Straßen, Kanälen, Gas- und Wasserleitungen. Der Wald blieb nur da erhalten, wo seine Fläche nicht benötigt wurde. Zersiedlung, Kahlschlag, Bergsenkungen, Umweltverschmutzung und die Kanalisierung der Flüsse zum Transport von Abwässern beendeten die natürlichen Möglichkeiten im Emscherbruch. Kompensiert wurde der Verlust an Ressourcen durch die Vollbeschäftigung der Menschen im Bergbau, in den Zulieferbetrieben und der Stahlindustrie. Nach dem Ende des Bergbaus besinnt man sich wieder auf Projekte, wozu der Emscherwald gehört. Industriebrachen werden durch behutsame Erschließung zu Erlebnis- und Erholungsräumen für die Bevölkerung gemacht (Restflächenprojekte). Dadurch werden die Strukturprobleme nach dem Bergbau mit den hohen Arbeitsplatzverlusten gemildert. Wenn nämlich ein mangelhaftes Wohnumfeld und hohe Migrantenanteile im Emscherraum die postindustriellen Probleme noch verschärfen, bedeutet das sozialen Sprengstoff für die gesamte Region. Ein ermutigender Ansatz ist die Renaturierung der Emscher, der Emscherauen und des Emscherwaldes.

Wolfgang Viehweger

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