Thasso Bönnebruch


In Eickel lebte ein angesehener Wollweber namens Karl Bönnebruch. Er war ein reicher Mann, weil Vater und Großvater gespart und hart gearbeitet hatten. In der Gasse zum Berg, eingepackt zwischen anderen Häusern, stand sein Haus, ein stattlicher Holzbau. Er war erst vor zehn Jahren von Grund auf neu aufgeführt worden, wie die Jahreszahl 1458 über der großen Tür bezeugte.

Durch diese Tür trat man in die geräumige Verkaufshalle. Karl handelte dort nicht nur mit selbstgewebter Ware, sondern auch mit kostbaren flandrischen Tuchen.

Vor wenigen Tagen hatte er von einem Geschäftsfreund einen jungen Hund zum Geschenk erhalten, der mindestens doppelt so aufgeregt war wie die Eickeler Bürger und dreimal so eigensinnig wie sein Herr.

Es handelte sich um einen schwarzen Wolfshund von spanischer Rasse, noch ganz ungezogen, täppisch und des Mutwillens voll. Der Hund hieß „Thasso“ und sollte seinem Namen noch Ehre machen, bedeutet er doch „Streiter und Raufer“.

Nun geschah es, dass die Eickeler Gemeinde am Aschermittwoch einen festlichen Aufzug beging. Sie zog zum Schultenhofe, um dort ein lebendes weißes Huhn, einen Schinken und einen Goldgulden zu empfangen als Zeichen der Zugehörigkeit zu einem geistlichen Herrn, dem Abt von St. Pantaleon in Köln. Als Hauptstück glänzte dabei allezeit das weiße Huhn. Es war mit bunten Bändern geschmückt und wurde um den Markt getragen.

Meister Bönnebruch ging an der Spitze des Zuges und hatte den strengsten Befehl gegeben, dass man den Hund eingesperrt halte, bis das Treiben vorüber sei. Thasso aber brach dennoch aus, verfolgte die Spur seines Herrn und sprang mitten in die festlichen Reihen. Den prächtigen Vogel mit den flatternden Bändern hatte er im Nu erspäht, griff an, entriss ihn der Hand des ihn tragenden Kindes und zauste ihn so, dass Federn und Bänder in der Luft umherflogen. Der Vater des Kindes, welcher ihn abwehren wollte, wurde von Thasso in die Wade gebissen.

Als es Karl Bönnebruch endlich gelang, den Hund zu bändigen, flügelte das Huhn noch einmal und hielt dann seinen Schnabel für immer. Nun hatte man in dem empörten Festzug kein lebendes weißes Huhn mehr; aber ohne dieses konnte die Zeremonie nicht weitergehen. Die Sache war ernsthaft! Mit vielen Bitten erreichte Meister Karl endlich, dass man den Vorgang als ungeschehen ansehen wolle, wenn er binnen zwei Stunden ein anderes weißes und lebendes Huhn zur Stelle schaffe. Der feierliche Umzug solle dann noch einmal beginnen, doch mit der Rechtsverwahrung, dass kein Hund teilnehme. Auch solle Karl Bönnebruch, der die Teilnehmer mit Zorn, Ärger und Angst gegeißelt, dem Abt von St. Pantaleon zehn Ellen feinstes flandrisches Tuch schenken als Schadensersatz für das gerupfte Huhn.

Als der Hundebesitzer am späten Nachmittag des Aschermittwochs erschöpft nach Hause kam, beschloss er eine mustergültige Bestrafung Thassos. Der Hund sollte von Stund an nach einer ganz neuen, planvollen und gründlichen Pädagogik erzogen werden.

Wolfgang Viehweger

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