Die Akademie Mont Cenis


Der erste Plan der Stadt Herne, ein großes Einkaufszentrum von 14 000 m² Fläche auf dem aufbereiteten Gelände der 1978 geschlossenen Zeche zu errichten, stieß auf den Widerstand der Nachbarstadt Castrop-Rauxel, die um die Zukunft ihres Einkaufszentrums an der Widumer Straße fürchtete. Auch die Kaufleute von Herne-Mitte lehnten die Gigantomanie in Sodingen einhellig ab. Sie erwarteten dadurch eine Verödung der Innenstadt. Erst mit der Gründung der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park zeichnete sich für das 25 Hektar große Sanierungsgebiet im Jahr 1989 eine Lösung ab. Die Landesregierung von NRW beschloss, in Sodingen eine Fortbildungsakademie für das Innenministerium zu bauen und dafür einen internationalen Wettbewerb auszuschreiben.
Die IBA Emscher Park, die sich die ökologische, ökonomische und soziale Erneuerung der Emscherzone nach der Kohle zum Ziel gesetzt hatte, legte dazu die Qualitätskriterien fest. Beteiligt waren die Montan-Grundstücksgesellschaft (MGG), die Entwicklungsgesellschaft Mont-Cenis mbH (EMC) und die Stadt Herne. Bei dem Wettbewerb setzte sich das Konzept der Architektin F.-Hélène Jourda aus Marseille und des Architekten Gilles Perraudin aus Lyon durch, das den ersten Preis gewann. Das Besondere des Plans der beiden war die „Haus – in - Haus-Konstruktion“, die eng mit einem ökologischen Konzept verbunden war. Die Raummaße der gläsernen Gebäudehülle sind: 176 m Länge, 72 m Breite und 15 m Höhe. Die Glashülle hat den Vorteil, dass die Innenhäuser mit weniger Material- und Energieaufwand gebaut werden konnten. Das Tragwerk ist aus Holz. Auf 56 Fichtenstämmen ruht das Dach. Die Stämme in der Halle bedürfen keiner Schutzbehandlung. Außerdem sind sie leicht austauschbar und bilden keine Altlasten. Die Tragekonstruktion steht auf einem regelmäßigen Raster von 12 m x 12 m, was eine rationale Errichtung ermöglicht hat. Das besondere Lüftungs- und Heizungssystem der Glashülle bewirkt ein ganzjähriges gleichbleibendes Mittelmeerklima in der Halle. Palmen, die dort aufgestellt worden sind, gedeihen prächtig und sind ein Beweis für dieses Klima. Der Bau trägt das größte integrierte Solardach der Welt von 10 000 m². Darin verwandeln 3000 Fotovoltaikmodule das Sonnenlicht in Strom. Die Solarzellen spenden außerdem Schatten und sind damit ein Teil der Architektur, denn auf diese Weise sind teure Verschattungseinrichtungen oder Sonnenschutzgläser überflüssig. Die Verteilung der Solarzellen erweckt für den Betrachter den Eindruck durchziehender Wolken. Die Nutzung des Grubengases ergänzt die Energieversorgung der Akademie. Aus den ehemaligen Schächten auf dem Grundstück steigen Grubengase auf, die über die Protego-Hauben normalerweise in die Atmosphäre gelangen würden. Hier werden die Gase aufgefangen und in einem Blockheizkraftwerk zu Wärme- und Stromenergie umgewandelt. Mit der gewonnenen Energie kann man nicht nur die Akademie, sondern auch die benachbarte Siedlung und ein Krankenhaus versorgen. Wenn man zurückblickt, haben der Bergbau und der Strukturwandel dazu beigetragen, dass Menschen aus Frankreich mit ihrem technischen Wissen nach Sodingen gekommen sind, um zweimal etwas zu planen und aufzubauen, die Zeche Mont Cenis und die Akademie Mont Cenis. Es ist ein schöner Zufall, dass das Gründerteam und später das Architektenteam aus denselben südfranzösischen Städten stammen. Damit schließt sich der Kreis: Mont Cenis ist ein Symbol für das moderne Haus Europa und seine Innovationskraft geworden, mitten in Sodingen!

Wolfgang Viehweger

zurück