Stanislaw Mikolajczyk


1. Teil

Die Jugendzeit


Die Angaben von Stanislaw Mikolajczyk, dem polnischen Ministerpräsidenten im Exil (Juli 1943 – November 1944), über seine Familie und seine Kindheit im Ruhrgebiet sind sehr spärlich, wozu er selbst beigetragen hat. So schreibt er am Beginn seiner Memoiren von 1948 im Exil in Washington: „Mein Vater, der fünfzehn Geschwister hatte, war auf einem kleinen Bauerngut in Westpolen geboren worden. Er verließ die eigene Scholle und suchte Arbeit in den Kohlenbergwerken Westdeutschlands.“ Diese Angaben, ohne Namensnennung und genaue geographische Hinweise, sind verständlich, weil Mikolajczyk Freunde und Verwandte in Polen schützen wollte. Das Land war gerade eine „Volksrepublik“ sowjetischer Prägung geworden. Das biographische Material über die Familie in Deutschland ist bis heute lückenhaft, weil noch eine weitere Irritation dazu kommt: Als Geburtsort wird von den Biographen „Holsterhausen in Westfalen“ angegeben. Das trifft zwar zu, aber es gibt diesen Ortsnamen sowohl in Essen als auch in Dorsten und auch im ehemaligen Amt Eickel. Favorisiert wurde bisher Dorsten-Holsterhausen. Das konnte nur geschehen, weil man nicht nach Einträgen in Geburts- oder Taufregistern suchte. Zusammen mit den mir vorliegenden Dokumenten des Standesamts Eickel, heute aufbewahrt im Stadtarchiv Herne, und des Sekretariats der Marienkirche in Eickel vom Jahr 1901 ergibt sich folgendes Bild von der Familie Mikolajczyk in Eickel-Holsterhausen:
Um 1895 verließen Stanislaw Kostka Mikolajczyk, ein Bauernsohn aus dem Dorf Benice im Kreis Krotoschin in der Provinz Posen, und seine Ehefrau Sophia, geborene Parysek, die Heimat, um in Eickel-Holsterhausen Arbeit zu finden. Stanislaw Kostka wurde auf der Zeche Shamrock I/II angestellt. Im Bergrevier Herne gab es um 1900 ca. 8500 Bergleute mit eigenem Haushalt, von denen die Mehrzahl in Zechenhäusern wohnte. Diese waren bereits standardisiert. Jede Wohnung hatte fünf Zimmer mit insgesamt 81,5 m² auf zwei Etagen und kostete durchschnittlich 15 bis 20 Mark pro Monat, etwa die Hälfte der üblichen Miete auf dem freien Markt. Als Hauer auf Shamrock I/II, nach der Jahrhundertwende auf Shamrock III/IV verdiente Stanislaw Kostka monatlich 130 Mark.
Die Geburt des Sohnes am Donnerstag, dem 18. Juli 1901, erfolgte im Elternhaus an der Industriestraße 9a in Holsterhausen. Am nächsten Tag meldete der Vater die Geburt des Sohnes beim Standesamt in Eickel an. Der beurkundende Standesbeamte Stork stellte fest (Blatt A 769), dass es sich um einen Knaben handele, ehelich geboren und römisch-katholisch. Er solle den Namen „Stanislaus“ tragen. Die Standesbeamten waren zu der Zeit verpflichtet, bei Vornamen statt der polnischen Endsilbe „- law“ die deutsche Endsilbe „- laus“ einzutragen. Diese „Laus“ störte das weitere Leben des Knaben in keinerlei Weise. Am Sonntag, dem 21. Juli 1901, wurde er in der Marienkirche in Eickel durch den katholischen Pfarrer Josef Schneider getauft (Registriernummer 438). Taufpaten waren die Schwester der Mutter, Viktoria Parysek, und der Bergmann Joseph Gatka, ein Arbeitskollege des Vaters. So hätte der kleine Stanislaw, wenn die Eltern in Holsterhausen geblieben wären, später ein gesichertes Leben gehabt und eventuell eine Karriere auf Shamrock III/IV machen können. Jedoch hatte der Vater im Jahr 1907 einen schweren Arbeitsunfall, der ihm nur noch die Arbeit über Tage ermöglichte. So kehrte die Mutter mit dem knapp siebenjährigen Sohn 1908 nach Benice zurück, kaufte von den Ersparnissen einen 6 Hektar großen Bauernhof in Striesen bei Posen und bearbeitete ihn mit dem Sohn. Der Vater blieb noch bis 1912 in Holsterhausen und ließ sich wahrscheinlich im Betrieb zum Schlosser ausbilden, was ihm bei der Reparatur landwirtschaftlicher Maschinen in der Heimat helfen konnte. Seine Invalidenrente, die er bis zum Lebensende bezog, betrug 30 % seines Monatslohns, etwa 40 Mark.

Wolfgang Viehweger

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