Stanislaw Mikolajczyk - Die Jugendzeit

2. Teil Die politische Karriere


Die Eltern ahnten nicht, dass der Sohn einmal ein berühmter Politiker sein würde. Er sollte auf dem Land arbeiten und ein Bauer werden wie der Großvater. Als der Vater 1912 wieder zu Hause war, half er auf dem Bauernhof in Striesen im Landkreis Gnesen. Offenbar arbeitete Stanislaw ab 1917 halbtags in einer Zuckerrübenfabrik, wo er Mitglieder der „Falken“ kennen lernte, einer Verbindung nach Unabhängigkeit strebender junger Polen. Stanislaw schloss sich der Gruppe an. Die Souveränität seines Landes erlebte der junge Mann nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles am 28. Juni 1919. Allerdings kam es sowohl an der Westgrenze (in Oberschlesien) als auch an der Ostgrenze (in Weißrussland und der Ukraine) zu Aufständen, weil nach dem Versailler Vertrag dort Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit der Bevölkerung zu der einen oder anderen Seite vorgesehen waren. Erschwerend wirkte auch die Oktoberrevolution von 1917 auf die Situation im Osten. Trotzki organisierte innerhalb von zwei Jahren die „Rote Armee“ mit ca. 5 Millionen Mann und richtete sein Augenmerk auf den Westen, weil er die angrenzenden Länder (Weißrussland, Ukraine, Polen und die baltischen Staaten) als „abtrünnige russische Provinzen“ betrachtete, die es zu erobern galt. Eine große Rolle spielte in Polen der im November 1918 zum Staatspräsidenten ausgerufene Marschall Pilsudski, der gleichzeitig Oberbefehlshaber der Armee war. Im August / September 1920 ging er erfolgreich gegen die Rote Armee vor, die in Polen eingefallen war. Durch das „Wunder an der Weichsel“ wurde der Marschall zur Legende. Die polnische Ostgrenze wurde bis 1921 weit nach Osten vorgeschoben und im Vertrag von Riga am 18. März 1921 von der Sowjetunion anerkannt. Durch ein Militärbündnis mit Frankreich versuchte Pilsudski die neue Grenze im Osten abzusichern. Die Niederlage der Roten Armee hatte eine Bedeutung für ganz Europa, weil sie zeigte, dass eine zehnfach überlegene Armee schlagbar war, und zwar mit modernen Waffen (Artillerie, Maschinengewehre) und dass man auf diese Weise das Vordringen des Kommunismus in den Westen verhindern konnte. Allerdings zementierte der Krieg einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen Polen und der Sowjetunion. Stalin, der an dem polnisch-sowjetischen Krieg teilgenommen hatte, ließ sich später im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. April 1939 alle Gebiete zusichern, die 1921 den Polen überlassen worden waren. Als einfacher Soldat hatte Stanislaw Mikolajczyk als Freiwilliger bei den polnischen Truppen 1920 mitgekämpft und war verwundet worden. Nach seiner Entlassung kehrte er auf den Hof zurück und vergrößerte den Besitz in harter Arbeit von 6 auf 20 Hektar Land. Anfang 1920 lebten in Polen drei Viertel der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Dabei dominierten die kleinen Höfe. Etwa ein Drittel der Bauern hatte weniger als 2 Hektar, ein weiteres Drittel weniger als 5 Hektar. Nur 0,9 % der Unternehmen besaß mehr als 50 Hektar. Stanislaw besuchte in den folgenden Jahren die Volkshochschule in Gnesen, wo er u.a. Kurse für Agronomie belegte. Außerdem trat er in die Bauernpartei ein. Im Jahr 1924 wurde er Sekretär dieser Partei in Posen und Herausgeber einer Wochenzeitschrift für Bauern und Pächter. Daneben war er Vorsitzender des Verbandes der polnischen Jugend in Westpolen.

Seine Karriere als Politiker wurde begünstigt durch mehrere Umstände:

1. Er war einer der Kriegshelden, die am 20. September 1920 in der Schlacht an der Weichsel die Rote Armee besiegt hatten.
2. Er war ein erfolgreicher Bauer und Agronom, der genau wusste, wovon er sprach, wenn er über landwirtschaftliche Probleme diskutierte.
3. Er war Mitglied der Bauernpartei und dokumentierte dadurch seine liberale und demokratische Einstellung.
4. Er konnte gut reden und andere überzeugen. Er hatte das, was man „Charisma“ nennt.
5. Schließlich war er seit 1924 verheiratet, und zwar mit seiner Jugendfreundin Cecylia. Die beiden hatten seit 1926 den gemeinsamen Sohn Marian.

Im Jahr 1930 wurde Mikolajczyk Abgeordneter der Bauernpartei des Bezirks Gnesen im Parlament in Warschau. Wenig später zog er mit der Familie nach Posen und überließ die Bewirtschaftung des Hofes seinem Schwager, weil er die Doppelbelastung als Bauer und Parlamentarier nicht mehr schultern konnte. Dieses Leben endete jäh am 27. August 1939, als der deutsche Angriff auf Polen unmittelbar bevorstand. Mikolajczyk nahm an diesem Tag Abschied von der Familie, meldete sich als einfacher Soldat bei einer Einheit in Westpolen und kämpfte in vorderster Linie gegen die deutschen Truppen. Am 1. September überfielen deutsche und sowjetische Truppen das Land mit dem Ziel, Polen aufzuteilen, wie es im Hitler-Stalin-Pakt vorgesehen war. Die Westmächte Großbritannien und Frankreich, welche am 31. März 1933 feierlich die Souveränität Polens garantiert hatten, unternahmen nichts gegen die Aggressoren.

Wolfgang Viehweger

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