Stanislaw Mikolajczyk

3. Teil Der Ministerpräsident im Exil


Polen fiel innerhalb weniger Wochen durch die überlegenen deutschen Luft- und Panzerverbände und musste noch dazu den Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen erdulden. Mikolajczyk flüchtete mit 4000 Kameraden nach Ungarn und wurde dort interniert. Im Lager erfuhr er, dass General Sikorski, einer der Helden in der Schlacht an der Weichsel, nach Frankreich entkommen war und aus den geflohenen polnischen Truppen eine Exilarmee aufgestellt hatte. Mikolajczyk gelang es, über Jugoslawien und Italien nach Frankreich zu flüchten, wo er sich bei General Sikorski meldete: „Dieser freute sich, als er mich sah. Ich stand stramm, nannte meinen Namen – wir waren sehr alte Freunde - und sagte ihm, dass ich den Wunsch habe, den Freiheitskampf für unser Land fortzusetzen. Er lächelte, und dann umarmte er mich. Eine neue Phase meines Lebens hatte begonnen.“
Der Sitz der Polnischen Exilregierung war zunächst Paris, dann – nach der Kapitulation Frankreichs – London. Ziele der Exilregierung waren der symbolische Erhalt des polnischen Staates und seiner Institutionen in der Zeit der Besetzung, die Kontakte mit den polnischen Widerstandsgruppen und die Formulierung der Nachkriegspläne mit den Vertretern der Exilparteien. Nach der Entdeckung der Massengräber in Katyn im Jahr 1943 kam noch die Forderung nach Aufklärung hinzu. Als General Sikorski nicht davon abließ, erklärte Stalin noch im Frühjahr 1943 den Abbruch der diplomatischen Beziehungen seines Landes zur Exilregierung.
Am 27. Januar 1940 wurde Mikolajczyk, zunächst politischer Berater von General Sikorski, Innenminister der Exilregierung, besuchte mit dem General Kanada und die USA und im Dezember 1941 Moskau, wo die Vereinbarung getroffen wurde, gemeinsam gegen Hitler zu kämpfen. Am 22. Januar 1942 wurde Mikolajczyk zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Er unterstützte nach dem 25. April 1943, dem Tag des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit der SU die unerschrockene Haltung des Generals Sikorski bei der Frage der Aufklärung und musste – wie dieser – die zunehmende Isolierung der Exilregierung ertragen, weil sich die Westalliierten bei der Schuldfrage zurückhielten. Der Verbündete in Moskau war ihnen wichtiger als der Verbündete in London. Das ist erstaunlich, da bekannt war, dass das Politbüro in Moskau am 5. März 1940 beschlossen hatte, in den besetzten Westgebieten alle Feinde und Saboteure zu verfolgen, wozu auch die gefangenen polnischen Offiziere gehörten.
Nach dem ominösen Tod General Sikorskis bei einem Flugzeugabsturz vor Gibraltar am 4. Juli 1943 wurde Stanislaw Mikolajczyk 10 Tage später (am 14. Juli 1943) sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten. Zu der Zeit hatte Stalin schon eine aus Kommunisten gebildete „Polnische Regierung“ berufen, die nach der Befreiung Polens durch die Rote Armee das Land als Staat („Volksrepublik“) im Verbund mit der Sowjetunion vorbereiten sollte. Stalin glaubte, dass er es mit Mikolajczyk leichter haben würde als mit General Sikorski, weil er dessen politischen Tatendrang und seinen Kampf in vorderster Linie für die Freiheit Polens aus Mikolajczyks Biographie kannte und durchaus richtig einschätzte. Im Juli 1944 brachten die Westmächte Gespräche zwischen Stalin und Mikolajczyk in Gang, die darauf abzielten, eine Koalitionsregierung zwischen Exilpolen und Kommunisten zu vereinbaren. Stalin stimmte einer Koalition unter kommunistischer Führung zu, wie Mikolajczyk bei einem Besuch in Moskau erfuhr. Am 24. November 1944 trat Mikolajczyk vom Posten des Exilministerpräsidenten zurück, weil er erkannt hatte, dass der militärische und politische Kampf der Exilpolen an der Seite der Westmächte für ein freies Polen gescheitert war. Er war nicht der Mann, der in der Etappe die Ereignisse abwartete, sondern sich an vorderster Front bewährte, wie er es 1920 und 1939 gezeigt hatte. Er wusste allerdings, dass er mit seinem Wechsel von London nach Warschau und mit der Zusammenarbeit mit Kommunisten nicht nur seine politische Karriere aufs Spiel setzte, sondern auch seinen guten Ruf bei Freunden und Mitarbeitern. Ein Seitenwechsel machte ihn zum „Verräter“ an den bisherigen politischen Grundsätzen. Dabei spielte es keine Rolle, dass Mikolajczyk das gleiche Ziel verfolgte wie bisher, sich unmittelbar für die Freiheit Polens einzusetzen.

Wolfgang Viehweger

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