Stanislaw Mikolajczyk

4. Teil Das Exil


Als Stanislaw Mikolajczyk am 26. Juni 1945 im Anschluss bei einem Besuch bei Stalin mit einer russischen Maschine von Moskau nach Warschau flog, hatte er ein Dokument bei sich, in dem die Westalliierten und Stalin der neuen polnischen Regierung folgendes garantierten:

1. Die Rote Armee wird sich nach dem Krieg, sobald die Situation es zulässt, aus dem souveränen Polen entfernen.
2. Die Soldaten der polnischen Untergrundarmee werden amnestiert.
3. In der 19 Sitze umfassenden provisorischen Regierung sollen 6 Sitze den unabhängigen Parteien vorbehalten sein.

Am 28. Juni wurde die „Provisorische Regierung der nationalen Einheit“ gebildet. Stanislaw Mikolajczyk von der Bauernpartei wurde zweiter stellvertretender Ministerpräsident. Mächtigste Männer waren Boleslaw Bierut und Wladyslaw Gomulka. Die Siegermächte erkannten am 5. Juli 1945 die neue Regierung an und brachen zugleich die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung in London ab. Mikolajczyk, der auch das Amt des Landwirtschaftsministers bekleidete, gründete die Polnische Bauernpartei neu und schaffte es, dass sie innerhalb weniger Monate zur stärksten Partei im Nachkriegspolen wurde. Dabei half ihm gerade jene radikale Landreform, die von den Kommunisten eingeführt worden war. Sie brachte eine neue Klasse von Kleinbauern hervor, die eine feste Basis der Bauernpartei wurde. An der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 nahmen von polnischer Seite Boleslaw Bierut, Wladyslaw Gomulka, Stanislaw Mikolaczyk und Außenminister Wincenty Rzymowski teil. Verhandelt wurden die Neuordnung Deutschlands, die Regelung territorialer Fragen, die Reparationen an die Siegermächte und die Behandlung der Kriegsverbrecher. Bezüglich der Westgrenze Polens wurde beschlossen, dass die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie von Oder und Neiße zu Polen kommen sollte. Über die von der Sowjetunion besetzten Ostgebiete Polens nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurde nicht verhandelt. Das heißt, dieser Pakt galt weiterhin. In seinen Memoiren nennt Mikolajczyk Mitte 1946 einen „Polizeistaat“, da die Kommunisten inzwischen einen Sicherheitsapparat installiert hatten, der mit pathologischem Eifer gegen innenpolitische Gegner vorging, die verschiedene Namen trugen: „Verräter“, „subversive Kräfte“, „ausländische Agenten“, „Klassenfeinde“, „Staatsfeinde“. Mikolajczyk verfolgt diese Methoden akribisch von Mitte 1946 bis zum Oktober 1947 in seinen Memoiren und wird damit zum Zeitzeugen des Weges von Nachkriegspolen zur „Volksrepublik“. Stalin hatte in dieser Zeit genaue Kenntnis von der Zwangslage der Kommunisten in Polen, die auf legale Weise keine Wahlen gewinnen konnten. Auch bekümmerte ihn die politische Großwetterlage. Seine Diplomaten hatten ihm aus Washington berichtet, dass sich die bisherige Duldungspolitik ihm gegenüber ändern werde. Die neue Außenpolitik des Präsidenten Harry S. Truman werde darauf abzielen, den freien Völkern energisch beizustehen und sich der kommunistischen Unterwerfung zu widersetzen. Am 30. August 1946 bestellte Stalin die kommunistischen Mitglieder der polnischen Regierung nach Moskau. Er forderte sie zu einer härteren Gangart gegen die Opposition auf und verlangte Wahlen bis zum Januar 1947, wobei es ihm gleichgültig war, wie das Ergebnis zustande kommen werde. Er wollte vollendete Tatsachen. Die Parlamentswahlen vom 19. Januar 1947 wurden von den Kommunisten in der von Stalin angeordneten Weise gefälscht. Der Polnischen Bauernpartei wurden 27 von 444 Sitzen in dem neuen Parlament zuerkannt. Im September 1947 stand Stanislaw Mikolajczyk vor einem politischen Scherbenhaufen. Im Parlament hatte er nur ein Amt, aber nicht mehr die geringste Machtbefugnis. Die Bauernpartei existierte zwar noch, aber sie hatte keine Kommunikationsmöglichkeiten. Die Parteizeitung war verboten, Druckerei und Büros waren geschlossen, und die Mitarbeiter blieben eingeschüchtert zu Hause, weil sie von den Sicherheitsbehörden bedroht wurden. Mikolajczyk schreibt: „Am 8. Oktober 1947 kapitulierte ich. Ich sah ein, dass es keinen Zweck hatte, die Polnische Bauernpartei weiter arbeiten zu lassen.“ Inzwischen hatte er auch erfahren, dass die Kommunisten beschlossen hatten, für ihn und drei weitere Mitglieder der Bauernpartei in der nächsten Sitzung des Parlaments eine Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität zu beantragen, sie zu verhaften und nach einem „Prozess“ erschießen zu lassen. Am Montag, dem 20. Oktober 1947, abends um 20 Uhr, begann seine Flucht vom Bahnhof Warschau ins Ungewisse. Sie führte Mikolajczyk über die Provinz Posen, die Sowjetische Besatzungszone und die Britische Zone in nordwestlicher Richtung bis nach Braunschweig. Von einem Flugzeug der Royal Air Force wurde der Flüchtling Ende November 1947 nach London gebracht. Die Exilregierung empfing ihn als „Verräter“, der mit den Kommunisten koaliert hatte. Sie sah nicht ein, dass er aktiv für die Freiheit an der Front gekämpft hatte statt mit Prinzipien in der Etappe. Die Gründe seiner Flucht hat Mikolajczyk in seinen Memoiren dargelegt: „Ich bin geflohen, um der Welt die Geschichte meines Landes, die auch die meine ist, zu erzählen und die freien Völker dieser Erde eindringlich zu warnen. Ihnen allen droht, ob sie es erkennen oder nicht, eine ernste Gefahr von einem ruchlosen Feinde der Menschheit, der zielbewusst darauf ausgeht, die Welt zu erobern und dem Menschengeschlecht die ihm von Gott verliehenen Rechte zu entreißen.“ Angefeindet von den Kommunisten, die er durch seine Berichte und die erfolgreiche Flucht kompromittiert hatte, und durch die Exilpolen, verließ Mikolajczyk mit der Familie Mitte August 1948 England. Er bezog ein Haus in einem Washingtoner Vorort. Cecylia Mikolajczyk starb 1951 an den Krankheiten, welche sie sich in der Haft im KZ Majdanek, im KZ Auschwitz und im KZ Ravensbrück zugezogen hatte. Sohn Marian wurde Angestellter in einer Flugzeugfabrik. Stanislaw Mikolajczyk selbst übernahm den Vorsitz der internationalen Bauerngewerkschaft osteuropäischer Emigranten und starb im Dezember 1966. Im Juni 2000 wurde er als Opfer des Stalinismus von der polnischen Regierung rehabilitiert, nach Polen überführt und in Posen beigesetzt. Sein Sarkophag ist nicht weit entfernt von dem Ehrengrab des Dichters E.T.A. Hoffmann, der zeitlebens in der Poesie nach der Blauen Blume der Romantik suchte.

Wolfgang Viehweger

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