Der letzte Hirsch im Emscherbruch

Direktor Reinold Dehnke, Leiter der Zeche Bismarck von 1907 bis 1926, hatte im Jahr 1910 das Abschussrecht für alles jagdbare Wild und Raubzeug im Emscherbruch. Dieser war damals ein Eigenjagdbezirk der Zeche. Als Forst- und Jagdaufseher wirkte der in Erle und Resse bekannte Förster Lindemann. Er wohnte in einem kleinen Haus, dicht an der Unterführung der Zechenbahn.

Bei einem Reviergang sah der Förster eines Tages um die Mittagszeit, dass in dem verwilderten Gebiet südlich von der Bahnstrecke ein Hirsch stand. Lindemann eilte nach Hause und rief den Direktor an. Der vereinbarte mit dem Förster, dass er mit einer Zechenlokomotive zu dem genannten Ort kommen werde, weil die Strecke zu Fuß eine längere Zeit brauche. So dampfte der Jagdherr in voller Montur mit dem ungewöhnlichen Gefährt ins Revier, gewissermaßen zu einer Pirsch mit einer Lokomotive, um den Hirsch anzugehen. Dieser wartete noch vor einem Gebüsch. Reinold Dehnke brachte sich in Position, legte seine Büchse auf die Schulter des Försters und streckte den letzten Hirsch im Emscherbruch mit einem Blattschuss nieder. Es handelte sich um einen „Ungeraden Zehner“, der Hirsch hatte nämlich an einer Stange vier, an der anderen fünf Enden. Wie in Jägerkreisen üblich, wurde das seltene Ereignis an Ort und Stelle mit einem kräftigen Schnaps begossen, „der Hirsch wurde tot getrunken“. Das geschah aber erst, nachdem er aufgebrochen und der Körper von Schweiß (Blut) gesäubert worden war. Der Hirsch hätte sich gewundert, wenn er gewusst hätte, dass seine letzte Tour auf einer Lokomotive zur Zeche Bismarck führte. Auch die Bergleute glaubten zunächst an „Jägerlatein“, bis ihnen der Direktor und der Förster die ganze Geschichte von Anfang an erzählt hatten. Außerdem präsentierten die beiden den Hirsch und sein Geweih. Später hing dieses im Arbeitszimmer von Direktor Dehnke.

Nacherzählt von Wolfgang Viehweger

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