Wie der Steinplatz zu seinem Namen kam

Als der Baumeister August Franke um 1895 mit dem Bau der Josephskirche begann, setzte er knapp fünf Jahre bis zur Vollendung der Kirche an. Aus der Nähe von Recklinghausen wurden Steine für die Grundmauern und Pfeiler geholt. Täglich sah man schwer beladene Wagen von Herten über die Straße nach Wanne fahren. Obwohl die Bauern ihre besten Pferde zur Verfügung stellten, blieben manche Fuhren oft stecken. Der teure Marmor wurde mühsam aus Süddeutschland und der Sandstein aus den Baumbergen herbeigeschafft. Das führte wegen der schlechten Wege ebenfalls zu Verzögerungen. Inzwischen standen die Maurer auf den Gerüsten und warteten auf die Steine, die sie für das Maßwerk, die Fenster und die Türbögen brauchten. So verging die Zeit, ohne dass der Kirchenbau besondere Fortschritte machte. Das ließ den Baumeister verdrießlich werden, weil sein guter Ruf als zuverlässiger Unternehmer auf dem Spiel stand. Als er eines Nachts nicht schlafen konnte und zu der unvollendeten Kirche ging, räusperte sich plötzlich ein großer schwarzer Hund hinter ihm. August Franke war noch erschrockener, als der Hund ihn freundlich ansprach und in ein Gespräch über den Bau der Kirche verwickelte. Dabei erwies er sich sehr sachkundig. Der Meister klagte ihm – nach anfänglichem Zögern – sein Leid. Da beruhigte ihn der Hund und versprach, der Bau werde innerhalb von wenigen Monaten vollendet, wenn ihm der Gesprächspartner verspreche, ihm 30 Jahre nach Vollendung der Kirche seine Seele zu überlassen. Der Unternehmer ging darauf ein, weil er die Bedingungen des Hundes für weniger wichtig ansah als die Fertigstellung der Josephskirche. Außerdem würde er schon einen Weg finden, den satanischen Boten zu überlisten. Mit unheimlicher Geschwindigkeit schritt in den nächsten Wochen der Bau voran. In der Nacht verzehnfachten sich die Steine, die vom Vortag übrig waren, und merkwürdigerweise lagen sie an der Stelle, wo sie gebraucht wurden. Unterdes war immer wieder ein großer schwarzer Hund zu beobachten, der den Baufortschritt aufmerksam zu verfolgen schien. Den Maurern und Handlangern ging die Arbeit flott von der Hand, so dass der Vollendung der Kirche nach einigen Monaten kaum noch etwas im Weg stand. Da befahl der Baumeister, den letzten Hauptbogen des Kirchenschiffes, an dem noch ein großer Stein fehlte, so zu lassen, wie er sei. Die Lücke im Gewölbe ließ er – trotz Widerstrebens der Bauleute – mit einigen bemalten Brettern verdecken. Dann übergab er die Kirche der Josephsgemeinde, die das neue Gotteshaus zur Einweihung vorbereitete. Als eines Sonntagmorgens die Kirchenglocken läuteten und August Franke von der Langekampstraße her zur Messe schritt, stand plötzlich eine schwarze Wolke über ihm, aus der ein großer Stein – es handelte sich um den letzten Stein am Hauptbogen des Kirchenschiffes – neben ihm in den Boden krachte. Der Baumeister ging trotzdem frohen Mutes weiter; denn er hatte den Hund überlistet. Die Kirche wurde tatsächlich nie vollendet, solange der kluge Mann lebte.

Als die Nachfahren viele Jahre später sein Geheimnis in schriftlichen Aufzeichnungen fanden, schlugen sie dem Rat der Stadt Wanne-Eickel vor, den Platz, wo der Stein niedergestürzt war, in Erinnerung an den denkwürdigen Bau der Josephskirche „Steinplatz“ zu nennen, was auch geschah. Heute wissen die Besucher und die Anwohner nichts mehr von der Entstehung des Namens. Sie führen ihn darauf zurück, dass der Platz mit Kopfsteinen gepflastert ist. Außerdem seien früher die Materialien des Bauunternehmers Franke hier gelagert worden, Steine, Sand, Holz und Zement. Wenn ein großer schwarzer Hund an der Josephskirche vorbeigeht, heben die beiden Steinlöwen am Hauptportal drohend ihre Häupter und fauchen so laut, dass der Hundehalter, der den Zusammenhang nicht versteht, mit dem Tier eilig das Weite sucht.

Wolfgang Viehweger

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