Die Mütter

Mütter gelten im Verhältnis zu ihren Kindern als die allgemein edelsten Geschöpfe in der Gesellschaft. Sie genießen Hochachtung von alters her und sind an erster Stelle in allen Moral- und Ethiksystemen verankert. Ihre Verehrung trägt in manchen Kulturen Kultcharakter (Mutterkult).
Auch in den deutschen Schulen trifft man solche „Mütter“, die zwar noch keine Mutterschaft erlebt haben, aber freiwillig diesen Posten übernehmen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Mitschüler zu Sauberkeit und Ehrlichkeit anhalten, Streitigkeiten schlichten und zur Verteidigung von Klassenkameraden – auch in aussichtslosen Fällen – stets bereits sind.
Sie kandidieren gern für Ämter (Klassensprecher, Klassenbuchführer, Kartenholer u.a.) und behalten dabei die Übersicht. Schwamm und Kreide besorgen sie zur Not aus den Nachbarklassen, desgleichen fehlende Stühle und Tische.
Gegenüber Lehrern verhalten sich die Mütter ebenso umsichtig wie hilfsbereit: sie achten darauf, dass sie pünktlich in den Unterricht gehen, machen junge Kolleginnen darauf aufmerksam, dass ihr Make-up Ränder aufweist, der BH fehlt, der Saum des Rockes durchhängt und die Handtasche geöffnet ist.
Fahrigen und nervösen älteren Kollegen, meist Junggesellen, tragen sie geduldig die Brille, das Portemonnaie, das Notenbüchlein und die Tasche hinterher und raten ihnen, gelegentlich ihr Hemd zu wechseln und wenigstens einmal in der Woche ein Deo zu benutzen. Auch weisen sie die Klassenlehrer darauf hin, dass der Stoff dieser Woche bereits in der Vorwoche behandelt worden ist. Die Mütter tun das diplomatisch. Deshalb haben sie für ihre Fürsorge keine Nachteile zu erwarten.
Die Mutterschaft ist übrigens in der Schule nicht nur auf Mädchen beschränkt. Es gibt auch Jungen, welche diese Aufgabe mit Bravour übernehmen. Im Unterschied zu den Mädchen nennt man sie „Mütter der Kompanie“.

Wolfgang Viehweger

„Die SESS (Schutzgemeinschaft für Eltern schlechter Schüler) hielt ihre erste Vollversammlung im Jahr 1830 im Berchtesgadener Land unter freiem Himmel ab. Es kamen zu der Veranstaltung, die mit einem Trauergottesdienst begann, knapp 50 000 Eltern. Zahlreiche Probleme von allgemeinem Interesse, besonders die Sorgen mit schlechten Lehrern, wurden intensiv erörtert.“ (Heinrich Pestalozzi)

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