Der Beckumer Krebs

Vor vielen hundert Jahren verirrte sich ein Flusskrebs aus der Emscher in die Bauernschaft Beckum, was dort zu einer großen Aufregung führte.
Als etliche Leute sahen, dass der Krebs viele Füße hatte und mit ihnen rückwärts gehen konnte, erschraken sie über die Maßen; denn sie hatten noch nie ein solches Lebewesen gesehen. Bauern und Kötter liefen zusammen und hielten Rat, aber niemand konnte Genaueres sagen, bis einer meinte, der Unbekannte sei gewiss ein Schneider, weil er zwei Scheren bei sich trage. Da trat einer hervor, welcher erzählte, er habe einen erfahrenen Sohn, der sei vor drei Wochen manche Stunde Weges durch das Vest Recklinghausen gewandert und habe viel gesehen; er werde das fremde Wesen wohl kennen. Der Sohn wurde geholt und sprach: „Ich habe Wunderbares im Vest gesehen, aber ein solches Wesen ist mir noch nicht unter die Augen gekommen.“ Nun waren die Beckumer wieder so klug wie zuvor.
Da fasste sich einer ein Herz und griff nach dem Krebs. Dieser erwischte ihn mit den Scheren, so dass der Mann kläglich aufschrie: „Helft! Helft Er ist ein Räuber!“ Die Bauern ließen sofort einen Richter aus der Stadt Recklinghausen kommen, der nach reiflicher Überlegung folgendes Urteil fällte: „Weil das Wesen ein übler Räuber und Wegelagerer ist, soll es mit dem Wasser vom Leben zum Tode befördert werden.“ Es wurde auf ein Brett geschoben und in Begleitung der Einwohner von Beckum zur Emscher getragen. Als das Brett auf dem Wasser schwamm, wurde der Krebs lebhaft, fing vor Vergnügen an zu zappeln und ließ sich dann fröhlich in die Fluten gleiten.
Nachdem er untergetaucht war, fingen einige Zuschauer, die weichen Herzens waren, bitterlich an zu weinen und nahmen sich vor, in Zukunft ein noch rechtschaffeneres Leben zu führen. Sie wollten nämlich nicht so enden wie der arme Räuber in der Emscher.

Wolfgang Viehweger
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