Die Pferdestricker von Beckum

Um 1830 hatte fast jede Bauernschaft im Emscherbruch Pferdefänger, die man „Pferdestricker“ nannte. Der berühmteste unter ihnen war ein gewisser Peter Großfeld, der sich sein Versteck in den Kronen alter Bäume suchte, die Wurfleine mit einer Schlinge stets griffbereit.
Die Emscherbrücher „Dickköppe“ waren zwar Eigentum benachbarter Adeliger und Klöster, trotzdem arbeiteten die Pferdestricker nicht nur für sie, sondern auch im eigenen Auftrag. Davon hatten die Beckumer Wind bekommen. So schickten sie eine Abordnung zu Peter Großfeld mit der Bitte, sie zu Pferdestrickern auszubilden. Sie wollten fortan nicht mehr ihre Felder an den Ufern der Emscher mit Ochsen bestellen. Mit gezähmten Wildpferden werde es schneller und besser gehen.
Auf diese Weise geschah es, dass Peter Großfeld für die Beckumer eine ganz besondere „Fangmethode“ erfand und sie ihnen begreiflich machte. Er setzte sich mitten im Ort auf den Ast eines Baumes, schlang das Seil um seinen Körper und warf die Schlinge immer wieder um die Hälse der armen Bauern, welche Wildpferde darzustellen hatten. War der Wurf gelungen, sprang der Schelm blitzschnell vom Baum und verkündete das Ende einer erfolgreichen Jagd. Den Beckumern leuchtete das Wesentliche nach einigen Wochen ein. Sie verkündeten stolz, dass nun die Rudel im Emscherbruch ihre Meister finden würden.
Peter Großfeld nahm eines Morgens, ausgerüstet mit Heu und Hafer, Kurs auf den Emscherbruch. Neben ihm trotteten über die Feuchtwiesen die Beckumer Bauern. Als sich schließlich Hochwald und Gestrüpp mit den Wiesen abwechselten, war man im Emscherbruch angekommen.
Großfeld ließ die Pferdefänger auf Bäume steigen, verteilte darunter das Futter und befahl Ruhe und Geduld. Als schließlich ein Rudel sichtbar wurde und das Leittier keine Gefahr witterte, band Großfeld das Ende des Seils um einen Ast, wie es eigentlich üblich war, und warf die Schlinge geschickt um den Hals eines Wildpferds. Ähnlich taten es die gelehrigen Beckumer und hatten durchaus Erfolg. Allerdings flogen sie, als die Schlingen um die Hälse der Tiere lagen, wie Blitze von den Bäumen und wurden an den um den Leib gewickelten Seilen von den Pferden fortgeschleift. Ihre Hände suchten vergebens Halt an Bäumen und Sträuchern. Die wilde Jagd ging durch Wassertümpel, Wiesen und Buschwerk, bis die Natur Mitleid empfand und die Seile von den geschundenen Leibern streifte.
Mit zerfetzter Kleidung, bedeckt mit Blut und Dreck, am ganzen Körper zerschlagen und zerschunden, traten die Beckumer ihren Heimweg an. Sie wollten von dem Angebot des Schelms, in den nächsten Wochen noch einmal ihr Glück beim Pferdefang zu versuchen, nichts mehr hören.

Und so kam es, dass die Beckumer keine Pferde fingen und weiter mit ihren Ochsen zur Feldarbeit zogen. Ja, manche von ihnen entschuldigten sich sogar bei den treuen Tieren, dass sie der Versuchung erlegen waren, mit gezähmten Wildpferden zu arbeiten, wie es die Bauern in Henrichenburg und in Meckinghoven taten.

Wolfgang Viehweger
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