Das Grubenpferd Moritz

Die Belegschaft der Zeche Constantin war zur Morgenschicht eingefahren. „Moritz...! Moritz...!“ rief der Pferdetreiber Gottlieb Bellenkamp zur Begrüßung, als er vom Aufbruch kommend in den Querschlag einbog. Ein freudiges Wiehern hallte ihm entgegen, bis er den Pferdestall betrat. Gottlieb gab seinem Pferd ein Stück Zucker. Das tat er jeden Morgen. Dann kraulte er ihm die struppige Mähne, was Moritz liebte. Der legte zum Dank seinen Kopf zutraulich an Gottliebs Brust und war mit ihm ein Herz und eine Seele.
Gottlieb war stolz auf seinen Arbeitskameraden. So wusste dieser genau, dass er sechs Kohlenwagen zu ziehen hatte. Hängte Gottlieb einmal versehentlich einen weiteren Wagen an, blieb Moritz wie angewurzelt stehen und sah seinen Herrn aus treuen Augen erstaunt an, als ob er sagen wollte: „Du hast Dich wohl verzählt!“ Dann konnte Gottlieb nichts anderes tun, als den siebenten Wagen wieder abzuhängen. Da Moritz allerdings nicht in der Weise zählen konnte wie Menschen, vermutete Gottlieb ganz richtig, dass das Pferd an den einzelnen Schlägen beim Anfahren jedes Wagens hörte, wie viele es hinter sich hatte. Wenn er nun zwischen zwei Wagen einen Holzklotz klemmte, dann fuhren diese beiden Wagen gleichzeitig an, und es gab für Moritz beim Anfahren nur einen Schlag. Gottliebs Überlegung traf scheinbar zu.
Er hängte eines Tages einen siebenten Wagen hinter den Zug und sicherte ihn mit einem Klotz gegen den Wagen davor. „Los, Moritz!“, gab er dem Pferd den Befehl zum Abfahren, und Moritz zog nicht schneller und nicht langsamer als gewöhnlich! Als er aber dem Tier in die Augen sah, merkte er, dass sein Täuschungsmanöver aufgefallen war. Gottlieb schämte sich und reichte Moritz ein Stück Zucker, um sich zu entschuldigen. Der nahm es an und wieherte ein kurzes o.k.

Otto Dünbier

zurück zum Presseindex