Kulturführung, am Sonntag, dem 1. Juni 2008
Der Stadtteil Crange
“Die Emscherbrücher Dickköppe“


Obwohl es bis zum Sonntag, dem 1. Juni 2008, noch einige Wochen dauert, wenn sich der Kulturverein Herner Netz e.V. mit interessierten Bürgern nach Crange aufmacht, soll hier schon die Neugier auf einen Stadtteil geweckt werden, der eine bemerkenswerte Pferdegeschichte hat.

Die Römer machten ihre Vorstöße vom Rhein zur Weser unter ihrem Feldherrn Germanicus meist entlang von Flüssen, zum Beispiel der Ruhr, der Emscher und der Lippe. Aus dieser Zeit stammen die Berichte von den Wildpferden. Ihre Weidegründe lagen im Flussgebiet der Emscher. Sie erstreckten sich südlich vom Vest Recklinghausen bis weit in das ehemalige Stift Essen. Es ist das Gebiet von Crange, Buer, Gelsenkirchen und Bottrop. Die Bruchzone der Emscher umfasste in ihrer größten Ausdehnung nach Westen den Hamborner Bruch und nach Osten das Schlangenriedt bei Henrichenburg, in der Frühzeit auch noch den Dorstfelder Bruch. Benachbarte Wildbahnen waren im Nordosten der Merfelder Bruch und im Südwesten der Duisburger Wald mit den Ruhrauen.

Die „Emscherbrücher Dickköppe“, wie sie genannt wurden, hatten folgende Merkmale: Schulterhöhe bis 135 cm; Körpergewicht bis 300 kg; kurze Ohren; Hornwarzen an allen vier Beinen; einen von der Rückenwurzel herabhängenden behaarten Schweif.

Die Römer hatten im Emschergebiet schon die Bekanntschaft mit germanischen Reitern auf diesen unscheinbaren, struppigen Pferden gemacht. Anfangs spotteten sie darüber und verglichen die Tiere mit großen Ziegen, später statteten sie ihre gallische Reiterei mit 400 Wildpferden aus, weil sie widerstandsfähig und anspruchslos waren.

Historisch kann man nicht mehr genau feststellen, wann zu den Wildpferden, die in Crange „Dickköppe“ genannt wurden, Kavalleriepferde gekommen sind. Es ist wahrscheinlich, dass die herrenlosen Tiere getöteter Reiter in den vielen Fehden des Mittelalters und den Wirren des 30jährigen Krieges oft ihr Schicksal in eigene Verantwortung nahmen, indem sie sich den Rudeln der freilaufenden Pferde im Emscherbruch anschlossen. Aus der Kreuzung entwickelten sich veredelte Wildpferde, meist dunkelbraun oder schwarz, größer als die Wildpferde, mit kräftigen Beinen und einer breiten Brust, aber einem recht schmalen Hals und einem zierlichen Kopf.

Ende Juli eines jeden Jahres, wenn es in der Cranger Heide trocken war und Überschwemmungen der Emscher nicht befürchtet werden mussten, wurden die Pferdefänger, genannt „Pferdestricker“, bestellt. Unter den Bäumen im Emscherbruch legten die Helfer Futter aus. Auf den Bäumen saßen die Pferdestricker, die lange Stricke mit Schlingen an starken Ästen befestigt hatten. Wenn die Tiere fraßen, wurden ihnen von oben die Schlingen um die Hälse geworfen. Mit den Helfern, die aus ihren Verstecken kamen, wurden dann die Pferde gebändigt und zu den Koppeln und gesicherten Weiden in Crange gebracht, um ein Ausbrechen zu verhindern. Die Tiere, die zum Verkauf als Acker -, Karren – oder Reitpferde geeignet waren, wurden - je nach Wildheit – auf Koppeln, mit Holzbarrieren gesicherten Weiden und in überdachten Fangställen gefüttert, getränkt und bei Laune gehalten. Außerdem beließ man sie in kleinen Rudeln, damit sie den Schock des Gefangenseins besser ertrugen. Da das ganze Dorf und die Nachbarschaft die Vorgänge mit Interesse verfolgten, ist hier der Anfang der Cranger Kirmes zu suchen. Jedoch stand zunächst der Pferdemarkt am 10. August im Mittelpunkt des Geschehens, noch nicht die Kirmes. Der Verkaufsplatz befand sich auf der von der Emscher gebildeten Halbinsel zwischen dem Schloss und der Laurentiuskapelle. Der Zutritt war lediglich Käufern gestattet, die Zuschauer standen jenseits der Emscher. Dort fand auf einem Platz mit einigen Buden, Seiltänzern und Taschenspielern, gezähmten Affen und Bären die Kirmes statt. Das „fahrende Volk“ war noch in geringer Zahl, ganz im Gegensatz zu späteren Zeiten. Besonders die veredelten Emscherpferde waren von den Offizieren der benachbarten Garnisonen begehrt, so dass manchmal ganze Truppenteile mit ihnen beritten gemacht wurden.
Es ist bekannt, dass sich Napoleons Schwager, der Reitergeneral Joachim Murat, als Großherzog von Berg im Jahr 1806 für seine Feldzüge komplett mit den veredelten Wildpferden von Crange ausgestattet hat. Da diese sich mit Hartnäckigkeit weigerten, auf französische Kommandos zu reagieren, mussten ihre Reiter deutsch lernen, damit die Tiere die Befehle verstanden und ausführten. In der „Grande Armée“ hieß es scherzhaft:

„ Wir sprechen mit unseren Kameraden französisch - und mit unseren Pferden deutsch!“

Treffpunkt ist am Sonntag, dem 1. Juni 2008, um 10.00 Uhr am Cranger Tor. Die Lesung findet um 12.30 Uhr im „Cranger Hof“ statt. Nichtmitglieder zahlen für Führung und Lesung 5 Euro. Anmeldungen sind ab sofort erbeten unter Telefon 02325 / 30679 oder info@hernernetzev.de

Der Vorstand

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