Nachlese zur Foto-Ausstellung von Gerd Kaemper und
zur Lesung von Wolfgang Viehweger am 20. April 2008 im Schollbrockhaus

Unter der Schirmherrschaft des Kulturvereins Herner Netz e.V. präsentierte der Künstler Gerd Kaemper 21 Foto-Objekte aus unserer Stadt. Die Ausstellung trug den Namen „Fotos aus einer Stadt am Rhein-Herne-Kanal“. Der am 2. September 1963 in Wattenscheid geborene Gerd Kaemper stammt aus einer alten Bergmannsfamilie. Nach der Realschule wurde er Bürokaufmann und begann 1990 seine Karriere als Fotograf, die er 1996 mit der Weiterbildung zum Online Mediengestalter ausbaute. Gerd Kaemper geht technisch, formal und inhaltlich eigene Wege und nähert sich der bildenden Kunst. Seine Motive zeigen die Vielfalt von Gestaltungen, darunter sind Collagen und ästhetische Spielereien mit den Möglichkeiten der Optik. Ziele sind Menschen, Porträts, Gebäude und Landschaften. Seine etwa 3000 Fotos, die im Internet zu bewundern sind, haben ihm einen hohen Bekanntheitsgrad im Ruhrgebiet eingebracht.

Hier einige Kurzporträts mit Fotos von Gerd Kaemper:

Die Johanneskirche in Eickel

Die Johanneskirche, vor der Reformation katholisch, dann evangelisch, stand in ihrer spätromanischen Form bis 1891 auf dem Eickeler Markt und musste wegen Bergschäden, verursacht durch die Zeche Hannibal II, abgebrochen werden. Die neue Johanneskirche an der Hauptstraße wurde 1895/96 von dem Architekten Friedrich Garthmann erbaut. Die Zwiebelturmspitze befindet sich erst seit 1952 auf der Kirche. Der Eickeler Architekt Willi Wallmeier ist der Erbauer dieses „bayerischen Unikums“ im Ruhrgebiet. Direkt unter dem Zwiebelturm befindet sich ein Glockenspiel, gestiftet von Eickeler Bürgern. Mittags um 12.30 Uhr und abends um 18.30 Uhr erklingen geistliche Lieder.

Die Cranger Kirmes

Der Cranger Markt war seit dem 15. Jahrhundert geteilt in einen Pferde- und einen Fischmarkt. Das lag an der Nachbarschaft zum Emscherbruch mit seinen Wildpferden und zur fischreichen Emscher. Kurz nach der Laurentiusprozession der Hofgemeinde, vor der ein Brüderpaar auf zwei jungen Pferden ritt, wurde der Markt eröffnet. Auch er wurde von Brüdern umritten. Dieses Ritual ging auf St. Laurentius zurück, den man am 10. August ehrte. Es gab einen religiösen Teil, die Prozession, und einen weltlichen Teil, den Markt. Beide wurden mit der Pferdetradition verbunden. Zusammen ergaben sie die große Einheit von Gott, Kirche, Welt, Menschen und Tieren, symbolisch dargestellt in zwei Kreisen, die Identität, Schutz, Nähe und Geborgenheit für alle bedeuteten. Um 1880 hieß es bei den Landwirten, Spediteuren und Pferdehändlern in Deutschland: „Wer ein gutes Pferd haben will, geht nach Crange!“ Neben Geschäften bot der Markt auch Unterhaltung an, z.B. Turnierspiele und Zirkusdarbietungen des fahrenden Volks.
Die Cranger Kirmes, die jedes Jahr über 4 Millionen Besucher anlockt, zeigt heute die Attraktionen des technischen Zeitalters.

Nach der Eröffnung der Ausstellung las Wolfgang Viehweger einige „Emscher-Vertellekes“ vor, die er passend zu den Fotos ausgewählt hatte. Es folgt ein „Vertelleken“, das er erst kürzlich zu diesem Anlass geschrieben hat.

Wie die Ziegen in den Emscherbruch gekommen sind:

In alten Zeiten zog sich von Dortmund –entlang der Emscher – bis zu den Duisburger Rhein-Auen ein dichter Wald in einem Tal, das später „Emscherbruch“ genannt wurde. Er wurde bewohnt von Wildpferden und anderen Tieren, darunter ein Wolfsrudel mit dem Leitwolf Lupelmus. Manche Ziegen hatten vergeblich versucht, in das Gebiet einzudringen, weil es dort reichlich Wasser, Wildkräuter und Büsche gab. Sie waren aber immer von den Wölfen angefallen worden, bis eine Ziegenfamilie einen Plan entwarf, der mit dem wölfischen Denken vertraut war und zum Erfolg führte: Eines Tages schritt ein kleines Zicklein von Crange her in den Emscherbruch. Kaum hatte es den Wald erreicht, trat ihm der Leitwolf entgegen und wollte es zerreißen. Da sagte das Zicklein mit zitternder Stimme: „Meine Mutter kommt auch noch.“ Lupelmus ließ von der kleinen Ziege ab und dachte: „Die Mutter ist ein größerer Fraß für mich als das armselige Junge.“ Bald darauf erschien die stattliche Ziegenmutter, die den Namen „Capra“ trug. Schon wollte der Wolf über sie herfallen, als sie rief: „Mein Mann Capricius kommt ebenfalls hierher!“ „Halt“, dachte der Wolf, „warte mit der Mahlzeit, bis der Mann kommt.“ Schließlich kam der Ziegenbock gravitätisch daher. Dem Wolf lachte das Herz im Leib, als er den großen und gut genährten Bock erblickte. Schon machte er sich zum Sprung bereit, da erregten die Hörner am Kopf des Gegenübers seine Aufmerksamkeit. „Sag’ mir doch“, fragte er neugierig, „was Du da auf dem Kopf trägst?“ „Nun ja“, erwiderte Capricius gelassen, „das sind meine Waffen, zwei scharfe Dolche.“ Der Wolf war erschrocken und überlegte, was er machen solle. In dem Moment senkte der Ziegenbock den mächtigen Kopf und richtete die Hörner auf seinen Gegner. Die Situation wurde dem Wolf unheimlich, er schlug sich in die Büsche. Auf diese Weise sind die Ziegen glücklich in den Emscherbruch gelangt. Ihre Nachkommenschaft hat sich so vermehrt, dass vom Mittelalter bis zur Neuzeit viele Bauern, die am Emscherbruch wohnten, neben Pferden und Kühen auch Ziegen als Haustiere hielten. Als die Industriezeit begann, waren die Ziegen in den Kolonien (Zechensiedlungen) der Bergleute ebenso gern gesehene Gäste. Sie hießen bei ihnen allerdings nicht Ziegen, sondern wurden „Bergmannskühe“ genannt.

Fotos: Gerd Kaemper
Text: Wolfgang Viehweger

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