Die Radfahrer

Sie steuern auf den aufsichtsführenden Lehrer mit Knickebeinen, gebeugtem Rücken und unterwürfigem Lächeln zu, geben ihm höflich die Hand und böswillige Kommentare über ihre undisziplinierten Klassenkameraden. Dabei begleiten sie den Lehrer auf Tuchfühlung und hängen an ihm wie Kletten.
Die Radfahrer sind allerdings nicht nur auf dem Schulhof tätig, sondern auch in der Klasse. So bleiben sie manchmal nach der Stunde am Pult des Lehrers stehen, sagen, dass sie etwas nicht verstanden haben und stacheln dann das schwach entwickelte Misstrauen des Pädagogen gegen die Mitschüler an, indem sie tolle Geschichten über Sexspiele und Saufgelage auf den Toiletten erfinden, die eigentlich das Thema der nächsten Schulkonferenz sein müssten.

Die Radfahrer wundern sich oft, dass sie weder bei Schülern noch Lehrern beliebt sind. Sie fühlen sich recht einsam, weil sie auch mit ihren Eltern kaum über ihr Verhalten in der Schule sprechen können. Dennoch kokettieren sie mit ihrer verschwörerischen Tätigkeit, da sie wissen, dass sie dadurch Menschen manipulieren, und das in aller Heimlichkeit.

Die Händler

Für sie – meist wieselige und nervöse Typen – sind die Pausen die ereignisreichsten und anstrengendsten Minuten des Schulalltags. Sie kaufen, tauschen und verkaufen: Kondome, Pornos, Bonbons, Schokolade, Briefmarken, „Bravos“ u.a.
Ohne sich überhaupt für Briefmarken zu interessieren, kaufen sie teure und seltene, die Mitschüler aus dem Album des Vaters entwendet haben, tauschen sie gegen geklaute Autoradios, um diese dann wieder gegen die Übernahme eines alten Fahrrades oder eines noch neuen Walkmans zu verwenden. Gegen 11.30 Uhr haben sie die Ware meist an jüngere Schüler verkauft und soviel Geld in der Tasche, dass sie sich den besten Döner leisten können, dazu eine große Cola.
Auf diese Weise, die anstrengend ist und viel Geschick verlangt, bereiten sich die Händler auf eine Karriere vor, die sie – je nach Umständen – zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats einer internationalen Ölgesellschaft führt – oder aber zum Teilhaber eines Trödelladens am Rande des Existenzminimums.

Wolfgang Viehweger

Wie deutsche Schüler leben und denken, lieben und leiden, gehört zu den harten Realitäten der gesellschaftlichen Entwicklung, an denen kein Politiker in Zukunft mehr achtlos vorbeigehen kann.“ (Heinrich Pestalozzi)

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