Die Murmler

Sie hassen es, in der Schulöffentlichkeit aufzutreten, weil ihnen dazu scheinbar das Selbstbewusstsein fehlt.
Vor der Tafel lassen sie wie ein zum Tode Verurteilter die Arme hängen, senken den Kopf, auch die Lider, dann die Stimme, um nur die Lippen unmerklich zu bewegen und zu zeigen, dass sie noch leben. Sie geben schwache und so hilflose Laute von sich, dass der Lehrer es nicht mehr aushält, erfolglos dem Gemurmel seines Opfers zu lauschen; deshalb sagt er: „Sprechen Sie doch lauter!“
Die Murmler reißen als Reaktion entsetzt die Augen auf, machen Fluchtbewegungen und schließen den Mund für diese Unterrichtsstunde.
Werden die Murmler aufgefordert, das, wofür sie keine Worte finden, an die Tafel zu schreiben, greifen sie nach dem kleinsten Stück Kreide, das sie finden können, drücken sich leicht an die Tafel und beginnen an der untersten und vom Lehrer entferntesten Ecke einige unlesbare Zeichen hinzukritzeln, wobei ein winziges Lächeln um ihre Lippen spielt.

Die Murmler haben keine Sprachfehler, ihre Stimmbänder sind in einem optimalen Zustand, schwingen aber nur während der Pausen oder in der Vertraulichkeit der Familie.
Oft brüllen gerade Murmler abends vor dem Fernsehen Mütter oder Väter an: „Warum sollte ich jetzt um 23 Uhr keine Fleischwurst essen und keinen Whisky trinken, wenn ich Lust dazu habe?“

Die Versteckspieler

Sie gehören zu den sonderbaren, schwer zu begreifenden Typen, obwohl sie sehr methodisch vorgehen, um nicht als scheinheilig entlarvt zu werden.
Jedem, der es gar nicht hören will, vertrauen sie vor einer Klassenarbeit an, dass sie nichts wissen, weil sie sich nicht vorbereitet haben. Das sei ihnen aber egal, da sie sowieso die schlechteste Arbeit schreiben würden. In Wirklichkeit ist das eine eigenartige Komödie: Sie sind gut vorbereitet und zeigen sich verblüfft, wenn sie die beste Arbeit geschrieben haben. Sie sprechen dann von einer „Menge Glück“ und gehen zur Tagesordnung über, um dann vor der nächsten Arbeit wieder laute Versagenserklärungen abzugeben.

Die Versteckspieler sind wahrscheinlich im Herzen soziale Menschen. Um vor Klassenarbeiten die Nervenbündel zu beruhigen, die wirkliche Qualen leiden, versichern sie ihnen, dass auch sie keinen blassen Schimmer von den Anforderungen hätten. Damit richten sie die Nervenbündel etwas auf, die nun glauben, in einer gewissen Solidarität mit ihnen zu stehen, obwohl das natürlich nicht zutrifft.
Versteckspieler werden später meist Banker oder Politiker, die sich freuen, wenn sie unterschätzt werden.

Wolfgang Viehweger

„Wenn frustrierte Lehrer über den Schulhof gehen und grübeln, warum sie nicht einen anderen Beruf gewählt haben, sollten sie daran denken, dass auch Schüler nicht zum Lernen kommen, sondern an höchst wichtigen Beschäftigungen interessiert sind, die nichts mit der Schule zu tun haben.“ (Heinrich Pestalozzi)
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