Die Beckumer Schweine

Das europäische Hausschwein war bis vor 100 Jahren in der Bauernschaft Beckum neben dem Rind für die Ernährung der Bewohner am wichtigsten. Das männliche Hausschwein nannten die Beckumer „Kämpe“ (nicht: Eber), das weibliche „Docke“ (nicht: Sau) und das Junge in der Säugezeit „Milchbutz“ (nicht: Milchferkel).
Die Bauern wussten natürlich aus langer Erfahrung, dass sogenannte „leere Docken“ mit Weiden auskamen, während hochtragende und säugende Zusatzfutter mit viel Eiweiß, Mineralien und Vitaminen brauchten. Deshalb standen sie meist mit den Kühen zusammen auf den Wiesen und bekamen neben Wasser auch manchen Eimer Buttermilch als Zusatznahrung.
Alles wäre in der Ordnung der Natur geblieben und die Beckumer würden heute noch ihr Schmalz aus dem Flomen des Schweins auf Pumpernickel essen, wenn nicht eines Morgens die Beckumer Kühe keine Milch mehr gegeben hätten. Eilig wurde eine Gemeindeversammlung einberufen, welche zu dem Schluss kam, dass die treuen Kühe nicht von sich aus den Menschen die Milch verweigerten, sondern dass auf ihnen ein böser Fluch laste, den man lösen müsse. Bekannt war für solche Fälle eine alte Frau aus dem nahen Henrichenburg, die im Ruf stand, eine Zauberin zu sein. Ihr Name war Julchen Mecking. Man nannte sie aber allgemein „Mutter Mecking“ wegen ihres fortgeschrittenen Alters. Als sie von dem seltsamen Vorgang der plötzlich versiegten Milch in Beckum informiert wurde, machte sie zur Bedingung, dass man ihr in die Untersuchung nicht hineinrede und ihre Entscheidungen respektiere.
So kam sie eines Abends in Beckum an, besichtigte Wiesen und Weiden und befahl allen Beckumern, bis zum Anbruch des nächsten Tages in den Häusern zu bleiben. Türen und Fenster sollten verschlossen sein. Auf diese Weise könne sie am besten dem bösen Fluch auf die Schliche kommen. In der Nacht, welche Mutter Mecking nahe an den Wiesen verbrachte, geschah zunächst nichts, bis plötzlich im Morgengrauen die hochtragenden und säugenden Docken wie auf Kommando aufstanden, sich unter die Kühe stellten, welche schon auf die Melkerinnen warteten, und sie behaglich leer soffen. Danach entfernten sie sich und ließen die Kühe zurück, die kein Erstaunen zeigten.
Am nächsten Morgen rief Mutter Mecking zunächst alle Bauern zusammen. Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, dass schließlich alle Beckumer anwesend waren. Sie teilte ihnen mit, nicht die Kühe seien verhext, sondern die Beckumer Schweine. Da sie den bösen Fluch, der auf diesen Tieren laste, nicht in wenigen Tagen oder Monaten lösen könne, sollten ihr für einen gewissen Zeitraum alle Schweine überlassen werden. Die Beckumer waren damit einverstanden, und das besonders, als sie merkten, dass die Kühe am nächsten schweinslosen Tag wieder Milch gaben.
In den folgenden Jahren fragte Mutter Mecking immer wieder an, ob sie nicht ihre Schweine zurückhaben wollten, weil es für sie unmöglich sei, den Fluch von ihnen zu nehmen. Die Beckumer teilten ihr jedoch mit, sie hätten sich an den schweinslosen Zustand gewöhnt und wünschten ihr und den Schweinen in Henrichenburg alles Gute.

Wolfgang Viehweger
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